Berlin, 30.09.2011. Zum Beschluss des Deutschen Bundestages zum verbesserten Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren erklärt Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger:
„In den letzten zehn Jahren wurde immer wieder ergebnislos über den Rechtsschutz bei überlangen Verfahren diskutiert. (…). Jetzt können endlich die Versprechen eingelöst werden, die Grundgesetz und Menschenrechtskonvention schon lange geben. Jeder hat Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Zeit - dieser Satz kann jetzt mit Leben gefüllt werden."
Zwar muss der der Bundesrat dem Gesetz noch zustimmen, aber das Insistieren des Europäischen Gerichthofs für Menschenrechte (EGMR) hat endlich gesetzgeberische Folgen gezeigt.
Denn die erste Verurteilung Deutschlands durch den EGMR erfolgte im Jahr 2006 nach mehreren erfolglosen Beanstandungen. Da die damalige Regierung trotz zahlreicher weiterer EGMR-Urteile nicht nachbesserte, kassierte Deutschland ein sogenanntes „EGMR-Piloturteil“: bis Dezember 2011 wurde ultimativ die Schließung der Rechtsschutzlücke gefordert.
Unmittelbar nach ihrem Amtsantritt hatte die FDP-Bundesjustizministerin daher einen Gesetzentwurf ausarbeiten lassen, der Betroffenen die Möglichkeit gibt, sich gegen überlange Gerichtsverfahren zu wehren.
- Auf der ersten Stufe müssen die Betroffenen das Gericht, das nach ihrer Ansicht zu langsam arbeitet, mit einer Rüge auf die Verzögerung hinweisen. Die Richter erhalten durch die Verzögerungsrüge die Möglichkeit, den Prozess zu beschleunigen. Das bedeutet: Man kann einem Verfahren nicht einfach seinen langen Lauf lassen und später eine Entschädigung fordern.
- Verzögert sich das Verfahren trotz Rüge weiterhin, kann auf der zweiten Stufe eine Entschädigungsklage erhoben werden. In dem ‚Entschädigungsverfahren’ bekommen die betroffenen Bürgerinnen und Bürger für die sog. immateriellen Nachteile – zum Beispiel für seelische und körperliche Belastungen durch das lange Verfahren – in der Regel 1.200 Euro für jedes Jahr, soweit eine Wiedergutmachung auf andere Weise nicht ausreichend ist. Neben dem Ausgleich für die immateriellen Nachteile ist zusätzlich eine angemessene Entschädigung für materielle Nachteile vorgesehen, etwa wenn die unangemessene Verfahrensdauer zur Insolvenz eines Unternehmens führt.
Der neue Entschädigungsanspruch hängt nicht von einem ‚Verschulden’ ab. Es kommt also nicht darauf an, ob den Richtern ein Vorwurf zu machen ist. Neben der neuen Entschädigung sind zusätzlich – wie bisher schon – Amtshaftungsansprüche denkbar, wenn die Verzögerung auf einer schuldhaften Amtspflichtverletzung beruht. Dann kann umfassend Schadensersatz verlangt werden, etwa auch der Ersatz von entgangenem Gewinn.
Der Schutz vor überlangen Verfahren soll auch der Justiz positive Effekte einbringen. Wo viele berechtigte Klagen von Bürgern wegen der Verfahrensdauer erfolgen, werden die Verantwortlichen über Verbesserung bei Ausstattung, Geschäftsverteilung und Organisation nachdenken müssen. Der Gesetzentwurf stärkt somit nicht nur den Rechtschutz vor deutschen Gerichten, sondern auch die deutschen Gerichte selbst.