VAfK-Positionspapier "Gewalt und Umgangsrecht"

Wir stehen für einen respektvollen Umgang zwischen Eltern, die sich gegenseitig respektieren, kooperativ unterstützen und ihr Handeln im Sinne ihrer Kinder ausrichten.

Im Zusammenhang mit Trennungen von Eltern können aber auch Formen von Gewalt oder Gewaltvorwürfen aufkommen. Mit nachfolgendem Positionspapier beziehen wir klar Stellung, dass Gewalt keine Lösungsoption ist. 

Zum anderen wollen wir auch Wege aufzeigen und zu einer differenzierten Betrachtungsweise anregen. Dabei stehen die Bedürfnisse, Interessen und vor allem auch der Schutz der betroffenen Kinder im Mittelpunkt. Die Ausführungen beziehen sich hier vorrangig auf die Frage der Regelung der Beziehung zu den Kindern. Fragen der Auswirkungen zwischen den Erwachsenen werden nur insoweit behandelt, soweit diese im Zusammenhang mit der Elternschaft relevant sind. Wir erkennen an, dass es darüber hinaus noch weitere Faktoren gibt, die sich auf das Verhältnis der Erwachsenen zueinander auswirken können.
 

Gewalt ist keine Lösung

Wir stellen uns gegen jede Form von Gewalt und sehen Gewalt nicht als geeignete Form einer Konfliktlösung an.
 

Gewalt kennt kein Geschlecht

Wir stehen für den Schutz aller Opfer von Gewalt, unabhängig von deren Geschlecht, Herkunft oder Weltanschauung. Versuche, Gewalt einseitig und geschlechtsbezogen definieren zu wollen, lehnen wir ab, da dies den Schutz der jeweils weniger beachteten Gruppe vermindert, wenn nicht gar gefährdet.
 

Besondere Schutzbedürftigkeit von Kindern

Gegenüber Kindern haben insbesondere die Eltern die Verantwortung, diese vor Gewalt zu schützen, da Kinder sich noch nicht ausreichend selbst vor Gewalt schützen können. Aufgrund des besonderen Vertrauensverhältnisses zwischen Kindern und Eltern sehen wir Gewalt von Eltern an Kindern als einen schwerwiegenden Belastungsfaktor der Eltern-Kind-Beziehung.
 

Kinder vor allen Formen der Gewalt schützen

Gewalt kann unterschiedliche Formen haben, sei es physische, sexualisierte oder auch psychische Gewalt. Während die Sensibilität gegenüber physischer und sexualisierter Gewalt gegenüber Kindern in den letzten Jahren zu Recht deutlich gestiegen ist, wird psychische Gewalt bisher zu selten als solche Wahrgenommen. Abwertungen, Demütigungen, negative Beeinflussung oder Instrumentalisierung von Kindern, auch und insbesondere nach einer Trennung bis hin zur Eltern-Kind-Entfremdung sind Erscheinungsformen von Gewalt, welche der Gesetzgeber in §1631 (2) BGB bereits berücksichtigt hat, welche in der Praxis aber zu selten wahrgenommen werden. Wir plädieren hier für eine deutliche Sensibilisierung insbesondere der beteiligten Fachkräfte, um Kinder vor psychischer Gewalt zu schützen. Denn auch, wenn psychische Gewalt keine blutenden Wunden zeigt, wirken die psychischen Schäden der Kinder häufig unbemerkt ein Leben lang nach.
 

Gewalt und Umgangsrecht

Wir sehen Gewalt nicht als eine Frage der Wahl des Betreuungsmodells, sondern vorrangig als eine Frage des Kinderschutzes. Wird der Vorwurf von Gewalt erhoben, so muss dieser im ersten Schritt aufgeklärt werden.

Dabei ist zu prüfen, ob es belastbare Anhaltspunkte für den Vorwurf gibt, oder nicht. Gibt es nach erster Prüfung keine belastbaren Anhaltspunkte, so ist unter Abwägung aller Umstände zu klären, wie der Umgang ausgestaltet werden kann (begleitet / unbegleitet) und in welchem Umfang.
Sollten belastbare Anhaltspunkte für gewalttätige Handlungen vorliegen, so sind diese zu differenzieren nach:

  • Anlass
  • Gewaltform
  • Häufigkeit / Wiederholungsgefahr
  • Ausübendem Elternteil
  • Einsichtsbereitschaft und Fähigkeit zur Verhaltensänderung des Gewalt ausübenden Elternteils

 

Beispiel 1:
Anlässlich der Trennung kam es zwischen beiden Elternteilen zu einer Handgreiflichkeit. Das Thema wird im Rahmen des Umgangsverfahrens thematisiert. Es war der erste Vorfall der Art, beide Eltern zeigen sich einsichtig und die Situation hat sich mit dem Auszug entspannt. Von einer Wiederholungsgefahr ist nicht auszugehen. Dem Umgangsrecht steht der Gewalt-Tatbestand in diesem Fall nichts im Wege.

Beispiel 2:
Bereits während der Partnerschaft kam es mehrfach zu gerichtsfest dokumentierten Gewaltvorfällen, teils auch gegenüber dem Kind. Der Gewalt ausübende Elternteil zeigt keine Einsicht. Es besteht eine hohe Wiederholungsgefahr. In einem solchen Fall wäre es kaum zu verantworten, wenn das Kind seinen Hauptaufenthalt bei diesem Elternteil hat. In Bezug auf ein Umgangsrecht müsste in solch einer Konstellation geprüft werden, ob ein begleiteter/ beschützter Umgang möglich ist oder ob eine zeitweise Aussetzung des Umgangs erforderlich ist, bis der Gewalt ausübende Elternteil durch Verhaltensänderung / therapeutische Unterstützung oder ähnliches die Voraussetzungen für einen Umgang geschaffen hat.

Beispiel 3:
Es werden von einem Elternteil Gewaltvorwürfe erhoben. Angaben und Handlungen des Elternteils widersprechen sich, es gibt keine belastbaren Anhaltspunkte für die vorgeworfenen Taten. Hier sollte die Motivation des Elternteils geprüft werden (verfahrenstaktischer Gewaltvorwurf oder evtl. durch eigene Traumata geprägt …). Da auch falsche Vorwürfe eine Form von Gewalt darstellen und strafrechtliche Relevanz haben können ist zu prüfen, inwiefern das Kind in diesem Fall geschützt werden kann und muss. Auch falsche Vorwürfe gegenüber einem Elternteil, welche das Kind erreichen, belasten dieses und gefährden die Beziehung des Kindes zu dem zu Unrecht beschuldigen Elternteil. Bei fehlender Einsichtsfähigkeit oder für die Zeit weiterer Aufklärung kann ein begleiteter Umgang, falls erforderlich auch unter Inkaufnahme eines Obhutswechsels, angezeigt sein.


Diese drei Beispiele verdeutlichen exemplarisch die Komplexität von Gewaltvorwürfen und zeigen, dass es keine generalisierenden Lösungen gibt und einer individuellen Betrachtung, insbesondere zum Schutz des Kindes, aber auch des gewaltbetroffenen Elternteils, bedarf. Jeder Fall ist durch Jugendämter und Familiengerichte auf Basis der Umstände des Einzelfalls zu prüfen. Hierbei sehen wir es als elementar an, dass die Prüfung schnell und trotzdem sorgfältig erfolgt, damit insbesondere für die Beteiligten Kinder zeitnah Klarheit hergestellt werden kann, wie die Beziehung zu seinen Eltern zukünftig gestaltet werden kann. Dabei soll das Kind weder der Gefahr eines wiederholten Gewalt-Erlebens ausgesetzt werden noch der Gefahr eines Beziehungsabbruchs aufgrund falscher Vorwürfe allein durch Zeitablauf.