Wir danken für die Übersendung des Evaluationsberichtes über die Auswirkungen des Mediationsgesetzes auf die Entwicklung der Mediation in Deutschland.
Aufgrund unseres Handlungs- und Erfahrungsschwerpunktes im Bereich des Familienrechts, insbesondere in Fällen sich trennender Eltern und deren Regelungen bezüglich der involvierten Kinder, werden wir unsere weiteren Ausführungen ausdrücklich nur auf diesen Bereich, in dem wir seit rund 30 Jahren umfangreiche Erfahrungen sammeln konnten, beschränken.
Grundsätzlich halten wir Mediation, Beratung und Unterstützung im Trennungsfall für den besseren Weg der Konfliktlösung als den Gang vors Familiengericht. Die Eltern bleiben auch nach einer Trennung als Paar gemeinsam in der Verantwortung für ihre Kinder und sind damit mehr als andere Streitparteien darauf angewiesen einen Weg zu finden, gemeinsam tragfähige Lösungen zu erarbeiten und auch in Zukunft eigenständig Lösungen finden zu können.
Diesen Lernprozess des Erarbeitens von Lösungsstrategien können Gerichtsverfahren nicht liefern. Gerade für die involvierten Kinder ist es ein wichtiges Signal und Entlastung, wenn deren Eltern in die Lage versetzt werden, auftretende Fragen rund um die Kinder eigenständig und miteinander anstatt über den eskalativen, langwierigen und häufig die Kinder belastenden Weg des Familiengerichtes zu lösen. Zudem handelt es sich wenn Kinder involviert sind weniger um rechtliche Fragen, sondern viel mehr um zwischenmenschliche Fragen und Probleme, welche durch gerichtliche Entscheidungen häufig nicht gelöst werden können. So mag es zwar eine Gerichtsentscheidung geben, das eigentliche Problem bleibt aber weiterhin unangesprochen und ungelöst, verschärft möglicherweise noch durch eine Gewinner- / Verlierer-Konstellation nach einem Richterspruch.
Wie der Bericht zeigt, verharrt die Zahl der Mediationen auf einem niedrigen Niveau. Die Zahl der gerichtlichen Sorge- und Umgangsverfahren hingegen ist seit vielen Jahren stark ansteigend[1]. Aus unserer Wahrnehmung hat das Mediationsgesetz im Bereich des Familienrechts bisher keine nennenswerten Auswirkungen entfalten können.
Wir sehen diese Entwicklung mit großer Sorge, denn Leidtragende dieser Entwicklung sind vor allem die Kinder. Streit der Eltern stellt für Kinder weiterhin eines der größten Entwicklungsrisiken dar[2], und die Wahrscheinlichkeit, dass Scheidungs- und Trennungskinder, welche eine strittige Scheidung miterlebt haben, später selbst in eine solch schwierige Situation geraten, ist deutlich erhöht. Neben der Betrachtung der heutigen Auswirkungen sollte daher aus unserer Sicht unbedingt der transgenerative Effekt mit bedacht werden.
Grundsätzlich sollten familiäre Fragen gut für eine Mediation geeignet sein, da sich viele Fragen nicht durch Gerichte beantworten lassen und es kein Richtig oder Falsch, sondern eher einer Vermittlung zwischen verschiedenen Sichtweisen bedarf. Die Frage des „Kindeswohls“ hat schon Generationen von Juristen und Wissenschaftlern vor unlösbare Aufgaben gestellt, ob ein Kind einen Tag mehr oder weniger Zeit bei einem Elternteil verbringt ist weniger eine juristische Frage sondern eher ein Aushandlungsprozess zwischen den Eltern, ggf. unter Einbeziehung des Kindes, wenn es dazu aufgrund seines Alters und seiner Entwicklung mitwirken kann und soll.
- die bestehenden positiven Rahmenbedingungen
- die Hinderungsgründe für erfolgreiche Mediationen im Familienrecht
- Überlegungen zum Änderungsbedarf, um der Mediation im Familienrecht zukünftig zu mehr Erfolg zu verhelfen
Wir wollen damit Anregungen geben, das Thema Konfliktbewältigung gerade dann, wenn Kinder involviert sind, grundlegend neu zu denken, Kinder dauerhaft zu entlasten und gerade ihnen zu zeigen, dass auch ein Streit kann gütlich beigelegt werden kann.
Das Ende einer Beziehung der Eltern als Paar kann trotzdem die Fortsetzung der Beziehung und die Liebe der Kinder zu beiden Eltern bedeuten. Neben der Entlastung der Erwachsenen, welche sich heute oftmals in jahrelangen, kostenintensiven Verfahren aufreiben ist eine Konfliktlösung vor allem eine Investition in die Entwicklung und Zukunft unserer Kinder und der nachfolgenden Generationen.
Grundsätzlich sind in den bestehenden Gesetzen bereits einige gute Ansätze, welche einer Mediation förderlich sein sollten, enthalten.
So gibt §1626 BGB (Elterliche Sorge, Grundsätze) vor, dass die Eltern in Fragen der elterlichen Sorge Einvernehmen anzustreben haben. Sehr deutlich ist auch geregelt, dass der Umgang mit beiden Eltern in der Regel zum Wohl des Kindes gehört.
§1627 BGB (Ausübung der elterlichen Sorge) weist darauf hin, dass die elterliche Sorge zum Wohle des Kindes auszuüben ist und die Eltern bei Meinungsverschiedenheiten versuchen müssen sich zu einigen.
§1628 BGB (Gerichtliche Entscheidungen bei Meinungsverschiedenheiten der Eltern) sieht gerichtliche Entscheidungen nur dann vor, wenn die Eltern sich nicht einigen konnten, und überträgt im Streitfall einem Elternteil die Entscheidungsgewalt, ohne die Entscheidung über die elterliche Sorge durch das Gericht auszuüben.
Auch das FamFG enthält positive Ansätze. Gem. §156 FamFG soll das Gericht in jeder Lage des Verfahrens auf Einvernehmen hinwirken, auf außergerichtliche Streitbeilegungsangebote und -wege hinweisen und kann die Beratung über solche Angebote auch anordnen (analog §135 FamFG im Scheidungsverfahren).
Die vorgenannten positiven Ansätze leiden alle unter demselben Umstand: sie sind nicht anordenbar, ein Verstoß gegen diese Grundsätze hat keine Folgen, nicht einmal die Anordnung der Beratung über Mediation kann mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden. Letztendlich handelt es sich um Gesetze mit gutem Willen, mangels Durchsetzbarkeit allerdings ohne praktische Bedeutung. Es stellt sich daher die Frage, weshalb streitende Eltern sich an den Willen des Gesetzgebers halten sollten.
Wichtigster Grund wäre natürlich das Wohlergehen des Kindes. Eltern, bei denen dies handlungsleitendes Motiv ist, finden in der Regel selbst Lösungen oder suchen sich entsprechende Unterstützung, wenn sie selbst nicht weiter vorankommen. Solche verantwortungsvollen Eltern können unterstützt werden, diese benötigen nicht unbedingt gesetzliche Regelungen. Sie sind sich ihrer Verantwortung für ihr Leben und für ihre Kinder bereits bewusst.
Ist dieser kindzentrierte Ansatz jedoch nicht (mehr) oder noch nicht (wieder) vorhanden, reichen gute Worte meist nicht mehr aus. Der „Rosenkrieg“ ist dann kaum mehr zu vermeiden. „Dazu fehlt es an den Institutionen, die in der Lage sind, sowohl außergerichtlich als auch gerichtlich eine Einigung herbeizuführen“ wie der ehemalige Familienrichter Jürgen Rudolph erst kürzlich in einem Interview[1] anmerkte.
Dem Familienrecht liegen etliche Vorschriften zugrunde, welche den Streit zwischen den Eltern förmlich herausfordern. §1671 BGB ermöglichst es noch immer, einen Elternteil aus der elterlichen Sorge zu drängen, wenn der andere Elternteil dies beantragt. Hier geht es darum, welcher Elternteil „der Beste“ ist (§1671 I (2) BGB), was förmlich einen Wettbewerb zwischen den Eltern herausfordert, weshalb wir diesen Paragraphen auch als „Streitparagraphen“ bezeichnen und dessen Abschaffung fordern. Die positive Sicht des §1626a BGB („dem Kindeswohl nicht widerspricht“) wird auch von der Rechtsprechung überwiegend nicht auf den §1671 BGB angewandt.
Auch der §1606 (3) (Unterhalt) birgt erhebliches Konfliktpotential. Das darin verankerte, auf tradierten Rollenmodellen basierende Prinzip „einer betreut, einer zahlt“ wird der Lebensrealität getrennt erziehender Eltern nicht gerecht, wird die Betreuungsleistung des zweiten Elternteils unterhaltsrechtlich nicht anerkannt. Dies findet erst ab exakt hälftiger Aufteilung der Betreuungszeit über einen komplexen Berechnungsschlüssel statt.
So sieht sich der Elternteil, welcher weniger als 50% Betreuungszeit hat und das Leben des Kindes in beiden Haushalten finanzieren muss in der Rolle des Verlierers und Benachteiligten. Auf der anderen Seite wird es dem Elternteil, der mehr als 50% Betreuungszeit hat, schwergemacht, eine vielleicht auch in seinen Augen sinnvolle, gleichverantwortliche Betreuung der Kinder zuzulassen. Bei zwei Kindern kann eine Übernachtung alle 14 Tage mehr oder weniger durchaus einen Unterschied von 800 EUR und mehr pro Monat ausmachen. Auch dies sind keine guten Voraussetzungen für eine einvernehmliche Lösung im Rahmen einer Mediation, zumal Anwälte ihren Mandanten aufgrund der rechtlichen Rahmenbedingungen von solchen Einigungen eigentlich immer abraten müssten.
Die Erwartungen des BMJV nach dem Symposium „Kindesunterhalt bei erweitertem Umgang und Wechselmodell“ im Mai 2015, dass die Rechtsprechung hier Lösungen finden würde, haben sich nicht erfüllt, im Gegenteil: Die Gerichte warten hier auf Signale des Gesetzgebers, so lange wird der Streit weiter eskalieren.
Ein weiteres, großes Problem ist die an vielen deutschen Gerichten vorherrschende Sicht auf die Themen Streit, Kontinuität und Kindeswohl. Wir erleben sehr häufig folgende einfache Gleichung:
- Streit schadet dem Kind
- Das Kind muss zur Ruhe kommen
- Das Kind bleibt bei dem Elternteil, der bisher den größeren Zeitanteil in der Betreuung hatte
- Der Kontakt zum anderen Elternteil wird reduziert, damit das Kind zur Ruhe kommt
- Ggf. wird das gemeinsame Sorgerecht aufgelöst.
Diese einfache Gleichung führt dazu, dass dem Elternteil, der sich nach einer Trennung möglichst schnell und oftmals ohne Rücksicht auf die kindlichen Bedürfnisse ein zeitliches Übergewicht in der Betreuung der Kinder sichert, quasi alle Optionen in die Hand gelegt werden, den Ausgang des Verfahrens zu bestimmen.
So gibt es einige wenige Anwälte, die mit einem bewussten Eskalationsprogramm seit Jahren sehr erfolgreich jede Kooperationsmöglichkeit zwischen Eltern verhindern, die Justiz massiv belasten, oftmals zur Eltern-Kind-Entfremdung beitragen und ihren Mandanten somit zum „Sieg“ über den anderen Elternteil verhelfen. Wir erleben solche Fälle in unserer ehrenamtlichen Beratungspraxis noch immer tagtäglich, denn diese eskalative Strategie, welche auf dem Rücken der Kinder und des anderen Elternteils ausgetragen wird, funktioniert leider fast immer.
Was fehlt sind Anreize zur Deeskalation und klare Signale an die Eltern, dass sich Streit nicht lohnt. Der Streit ist heutzutage noch die beste Alternative für den Elternteil, in dessen Obhut sich das Kind überwiegend befindet. Durch ein Zugehen auf den anderen Elternteil würde dieser nur persönliche Nachteile erfahren. Damit stellt eine Mediation, wenn man das Kindeswohl einmal außen vor lässt, bei den aktuellen gesetzlichen Rahmenbedingungen und der vorherrschenden Sicht der Familiengerichte keine sinnvolle Alternative dar. An diesem Zustand sollte dringend etwas verändert werden, um die Mediation als Konfliktlösungsinstrument in den Vordergrund zu stellen.
Grundsätzlich muss die Mediation eine bessere Alternative darstellen als ein konfrontatives, gerichtliches Verfahren. Hierzu bedarf es aus unserer Sicht verschiedener Rahmenbedingungen, welche geschaffen werden müssten.
Wer streitet, schadet seinen Kindern
Dieser einfache Grundsatz könnte schon viel bewirken, wenn den Eltern sehr früh im Verfahren und sehr deutlich klargemacht wird, dass der Elternteil, welcher Streit eskaliert und nicht kompromissbereit ist, im Falle einer strittigen Entscheidung Nachteile zu befürchten hätte. Eine Aufklärung hierüber sollte sehr frühzeitig durch speziell geschulte Richter vorgenommen werden, die den Eltern auf der einen Seite Möglichkeiten aufzeigen, auf der anderen Seite aber auch die Konsequenzen verdeutlichen, die ein eskalatives Verfahren für sie haben kann.
Alles zum Wohle der Kinder
Die Eltern haben die elterliche Sorge zum Wohle des Kindes auszuüben. Art. 6 (2) GG verpflichtet sie hierzu. Was dem Wohl des Kindes entspricht und welche Aufgaben Eltern zu erfüllen haben, hat der Gesetzgeber bereits in einigen Punkten umrissen:
- Zum Wohl des Kindes gehört in der Regel der Umgang mit beiden Eltern (§1626 BGB)
- Die Eltern haben die Pflicht zu versuchen sich zu einigen (§1627 BGB)
- Sollten sie Kommunikationsprobleme haben, dann müssen sie versuchen diese, notfalls unter Inanspruchnahme der Hilfe Dritter, zu überwinden, um zu einer am Kindeswohl orientierten Kommunikation zu finden (BT Drucks 17/11048 im Zusammenhang mit der Neuregelung der elterlichen Sorge nicht mit der Mutter verheirateter Väter)
Ein deutliches Signal an Eltern, Anwälte und Gerichte könnte sein, wenn z.B. der §1628 um einen Satz 3 wie folgt erweitert wird:
„Bei der Frage, welchem Elternteil die Entscheidung übertragen wird, soll vorrangig geprüft werden, welcher Elternteil sich nachweislich und ernsthaft um eine außergerichtliche Lösung bemüht hat“.
Ergänzt eventuell noch um einen Satz 4:
„Verweigert ein Elternteil ohne schwerwiegenden Grund die Kommunikation und Kooperation, so stellt dies ein deutliches Indiz für eine eingeschränkte Erziehungseignung dieses Elternteils dar, welche bei der Entscheidungsfindung vorrangig zu berücksichtigen ist“.
Ein solcher Grundsatz steht auch in Übereinstimmung mit wissenschaftlichen Erkenntnissen[1], dem Willen des Gesetzgebers und der Herangehensweise in anderen Ländern (vergl. u.a. aktuelle Diskussion in der Schweiz zur Anpassung der Regelungen zur elterlichen Sorge). Eine solch klare Vorgabe würde der heute noch häufig anzutreffenden Praxis, aus verfahrenstaktischen Gründen die Kommunikation und Kooperation zu verweigern, weitgehend ein Ende bereiten und den Weg zur Mediation öffnen.
Manchmal muss man zu seinem Glück gezwungen werden
Das Mediationsgesetz sieht bisher die Freiwilligkeit als Grundvoraussetzung zur Mediation vor. Wir regen an, diesen Grundsatz im Bereich des Familienrechts, sofern Kinder involviert sind, aufzugeben.
Bisher stehen einem solchen Zwang oftmals verfassungsrechtliche Bedenken entgegen, da er in die Persönlichkeitsrechte der betreffenden Person eingreifen würde. Dies mag bei zwei streitenden Personen zutreffend sein. Sobald jedoch Kinder involviert sind, müssen die Grundrechte der beteiligten Personen (Vater, Mutter und Kinder) gegeneinander abgewogen werden.
Wie zuvor ausgeführt, haben die Eltern vorrangig die Pflicht zur Ausübung der elterlichen Sorge, die staatliche Gemeinschaft wacht lediglich über die Ausübung (Art 6 (2) Satz II). Wenn nun aber erkennbar wird, dass ein (oder beide) Elternteile ihre elterliche Sorge nicht (mehr) zum Wohle ihres Kindes ausüben, so sollten die Eltern zur Erfüllung ihrer Pflichten angehalten werden, um Schaden vom Kind abzuwenden. Bereits heute sind zahlreiche Zwangsmaßnahmen bekannt (Umgangspfleger, Ordnungsgelder und Ordnungshaft, Auflagen im Zuge von Verfahren der Kindeswohlgefährdung etc.), die Sanktionscharakter haben, nicht jedoch zur Lösung der Probleme beitragen.
Die Anordnung einer Mediation stellt nicht nur einen geringen Eingriff in die Grundrechte der Eltern dar, er ist in Anbetracht der schwerwiegenden Folgen, welche langwierige Streitigkeiten für Kinder haben können, aus unserer Sicht auch angemessen. Die Eltern werden zur Erfüllung ihrer bereits heute durch den Gesetzgeber vorgegebenen elterlichen Pflichten angehalten, um Schaden von den Kindern abzuwenden.
Natürlich stellt sich die Frage, ob eine erzwungene und angeordnete Mediation tatsächlich zum Erfolg führen kann. Ja, das zeigen sehr deutlich Erfahrungen aus anderen Ländern. In Kalifornien wird eine obligatorische Sorgerechtsmediation bereits seit den 1980er-Jahren erfolgreich angewandt[2]; anfängliche Zweifel, vor allem aus den juristischen Professionen, erwiesen sich als unbegründet. Ähnliche Erfahrungen hat man in Australien gemacht, wo die obligatorische Mediation 2006 eingeführt wurde. In der Folge gingen die gerichtlichen Kindschaftsverfahren, ähnlich wie in Kalifornien, erheblich zurück und es gab deutlich weniger Folgestreitigkeiten.
Angelehnt an das Kalifornische Modell wurde in Deutschland auch die „Cochemer Praxis“ über viele Jahre sehr erfolgreich praktiziert und hat regional verschiedene, ähnliche Konzepte folgen lassen (Projekt Elternkonsens, Heidelberger Kooperationsmodell, Warendorfer Praxis etc.). Die Ergebnisse waren derart überzeugend, dass die Parlamentarische Versammlung des Europarates in ihrer einstimmig angenommenen Resolution 2079 (2015) die Einführung der Cochemer Praxis und die Förderung der Mediation in allen 47 Mitgliedsstaaten empfohlen hat:
„5.9. im Rahmen von Gerichtsverfahren in familienrechtlichen Angelegenheiten, an denen Kinder beteiligt sind, die Mediation zu fördern und gegebenenfalls zu entwickeln, insbesondere durch die Einführung eines gerichtlich angeordneten obligatorischen Informationsgesprächs, um den Eltern bewusst zu machen, dass die Doppelresidenz die beste Option im Hinblick auf das Wohl des Kindes sein kann, und um auf eine derartige Lösung hinzuarbeiten, wobei darauf zu achten ist, dass die Mediatoren eine geeignete Ausbildung erhalten, und wobei eine fachübergreifende Zusammenarbeit nach dem Vorbild der Cochemer Praxis zu bevorzugen ist.“
Auch im Rahmen des zweiten Zukunftsgespräches „Getrennt gemeinsam Erziehen“ des BMFSFJ am 20.09.2017 wurde von sehr positiven Erfahrungen berichtet, wenn Gerichte im Rahmen von Kinderschutzverfahren nach §1666 BGB die Eltern an die Beratungsstellen verwiesen haben. All diese sehr positiven Erfahrungen sollten Grund genug sein, die bisherigen Grundsätze der Mediation in Deutschland grundlegend zu verändern, damit die Mediation nicht weiterhin auf niedrigem Niveau verharrt.
Es lohnt sich, die Mediation in Anspruch zu nehmen
Gerichtliche Verfahren sind kostenintensiv, sich anhaltend streitende Eltern verursachen gerade für die öffentlichen Haushalte enorm hohe Kosten[3], von den gesellschaftlichen Kosten ganz zu schweigen.
Auf der anderen Seite zeigen die Erfahrungen mit Mediationen auch in anderen Ländern, dass diese zu deutlich weniger Folgestreitigkeiten führen und stabilere Ergebnisse erzielen.
Man könnte daher überlegen, Trennungs-Mediationen mit einem geringeren Kostensatz für die Eltern zu belegen, sofern diese zu einer einvernehmlichen Lösung führen. Die Differenz könnte durch die öffentliche Hand getragen werden. Dies wäre angesichts der hohen Folgekosten von strittigen Verfahren für Gesellschaft und öffentliche Hand gut investiertes Geld. Auf der einen Seite entlastet es Gerichte, Jugendämter etc. von intensiven Folgeverfahren, auf der anderen Seite schafft man auf diese Art einen zusätzlichen Anreiz für Eltern, sich bereits in der Mediation auf eine Einigung einzulassen. Würde die Mediation nicht zu einem Ergebnis führen, würden den Eltern die vollen Kosten auferlegt.
Keine gerichtliche Entscheidung ohne Einigungsversuch
Es sollte von Eltern grundsätzlich verlangt werden, dass vor der Einleitung gerichtlicher Verfahren ein Einigungsversuch nachgewiesen werden muss. Ähnlich wird dies heute bereits bei der Beantragung von Prozesskostenhilfe gefordert (wurde vorab das Jugendamt um Hilfe gebeten?).
Ausnahmen hiervon sollten nur in begründeten, eilbedürftigen Einzelfällen zulässig sein, z.B. bei Gewalt, Umgangsbe- oder Verhinderung, Tatsachen schaffenden Maßnahmen eines Elternteils wie z.B. Umzug, welche Auswirkungen auf den Ausgang eines gerichtlichen Verfahren haben würden. In solchen Fällen sollten Gerichte wenn möglich durch Zwischenvereinbarungen einen Zustand schaffen, welcher eine Basis für Mediationsgespräche schafft und keine Vorentscheidungen trifft (Beibehaltung des bisherigen Umfelds für das Kind, gleichmäßigen Kontakt zu beiden Eltern für die Zeit der Mediation etc.).
Wer ohne vorherige Einigung und ohne Eilbedürftigkeit einen gerichtlichen Antrag stellt, sollte hierfür auch vorrangig die Kosten zu tragen haben. Die Regelungen des §81 FamFG könnten hier entsprechend präzisiert werden.
Beispiel Österreich:
Seit 2013 sind sich trennende Eltern vor einer einvernehmlichen Scheidung dazu verpflichtet, sich von einer geeigneten Institution beraten zu lassen und dies dem Gericht auch nachzuweisen (§95 Abs. 1a AusStrG). In diesem Zusammenhang wurden auch Qualitätsstandards für entsprechende Beratungseinrichtungen festgelegt.
„Wir sind und bleiben Eltern – auf Augenhöhe“
Dem Familienrecht wohnt bisher noch immer das Bild vom „Gewinner“ und „Verlierer“ inne – eine denkbar schlechte Ausgangssituation für eine gemeinsame Elternschaft und auch für eine Mediation. Es bedarf daher grundlegender Reformen im Familienrecht, welche das Bild von Elternschaft nach einer Trennung neu regeln.
Hierzu zählt neben dem gesetzlichen Leitbild der Gleichverantwortung bei der Betreuung der Kinder auch die faire, der Leistungsfähigkeit der Eltern entsprechende Berücksichtigung beim Unterhalt. So sollten gegenüber beiden Eltern vom Grundsatz her dieselben Obliegenheiten bestehen und bei beiden sowohl Erwerbs- als auch Betreuungsarbeit gleichermaßen berücksichtigt werden – das Prinzip „einer betreut, einer zahlt“ ist nicht nur gesellschaftlich schon längst überholt, es ist auch eine Quelle immerwährenden Streits und schafft ein eklatantes Ungleichgewicht zwischen den Eltern, selbst wenn diese sich im Alltag beide intensiv, wenn auch einer zu weniger als 50% der Zeit, um ihre Kinder kümmern. Gleiches gilt auch für die Verantwortung für die Kinder im Alltag (§1687 BGB), welcher einem Elternteil die alleinige Entscheidungsgewalt für Alltagsentscheidungen der Kinder einräumt.
Auch im Sozialleistungs-, Steuer- und Melderecht sowie weiteren Rechtsgebieten muss sich der Grundsatz der gleichverantwortlichen Elternschaft durchsetzen. Es bestehen noch zu viele Fehlanreize, welche z.B. am Meldestatus eines Kindes festgemacht werden, unabhängig von der tatsächlichen Betreuungs- und Versorgungssituation der Eltern. Durch das Bundesfamilienministerium wurde im Rahmen der Zukunftsgespräche „Gemeinsam getrennt erziehen“ bereits ein Zukunftsdialog in Gang gesetzt, der viele dieser Punkte aufgreift und auch der Mediation als Konfliktlösungsinstrument einen wichtigen Stellenwert einräumt.
Nur wenn die Augenhöhe der Eltern auch rechtlich in allen Bereichen sichergestellt wird, kann eine Mediation erfolgversprechend in die Wege geleitet werden, da andernfalls die Rollenverteilung und Machtverhältnisse von vornherein vorgegeben wären. Auf Augenhöhe hätten die Eltern tatsächlich die Möglichkeit, unabhängig von rechtlichen Vor- oder Nachteilen Lösungen für sich und ihre Kinder zu finden.
Wer hat sich bemüht, wer hat den Konsens gesucht?
§1 des MediationsG sieht die Vertraulichkeit des Verfahrens vor. Wir regen an, dieses für familienrechtliche Verfahren, in denen Kinder involviert sind, aufzuheben. Wie zuvor ausgeführt ist es die Pflicht der Eltern, zum Wohle ihrer Kinder den Konsens zu suchen. Die Erfüllung dieser Pflicht muss daher auch nachprüfbar sein.
Bisher ist es häufig so, dass vor allem der hauptbetreuende Elternteil die Verweisung in die Beratung dazu nutzen kann, durch Verweigerung der Kooperation und zeitliche Ausdehnung der außergerichtlichen Beratungsgespräche Vorteile durch zunehmende „Kontinuität“ zu erlangen. Wird dann nach vielen Monaten das Verfahren am Familiengericht fortgesetzt, erfährt das Gericht nur, dass die Verhandlungen zu keinem Ergebnis geführt haben. Welcher Elternteil sich wie eingebracht hat bleibt dem Gericht verborgen und kann daher auch nicht zur Entscheidungsfindung beitragen.
Wir plädieren daher für eine Berichtspflicht des Mediators in Verfahren, in denen Kinder involviert sind. Dies ermöglicht nicht nur dem Gericht eine zügige, dem Beschleunigungsgrundsatz entsprechende Fortführung des Verfahrens, es verdeutlicht den Eltern auch, dass sie sich tatsächlich und ernsthaft um eine Lösung bemühen müssen, um eigene Nachteile in Bezug auf ihre Kinder zu vermeiden.
Gute Lösungen durch gut qualifizierte Berater
In Australien und Kalifornien gibt es spezielle Beratungsangebote (in Australien z.B. die family relationship centers, in Kalifornien beim Familiengericht angesiedelt), in denen speziell qualifizierte Berater sich um die Familien kümmern und hierbei auch besonders auf die Bedürfnisse der Kinder Rücksicht nehmen können. Denkbar wäre auch eine verpflichtende Qualifizierung und Zertifizierung als „Familien-“ oder „Trennungsmediator“. Die bisherige allgemeine Mediatorausbildung bietet nicht ausreichendes Handwerkzeug für eine Familienmediation.
Das Verfahren führende und begleitende Familienrichter
Besondere Bedeutung für den Erfolg einer Trennungs- und Scheidungsmediation messen wir dem Handeln und den Fähigkeiten der beteiligten Familienrichter bei. Wie zuvor bereits beschrieben kann die Einstellung des Richters z.B. zu den Themen Streit oder Kontinuität die weitere Entwicklung eines Beratungsprozesses nachhaltig beeinflussen. Dies bedingt jedoch, dass der Richter sich der Zusammenhänge bewusst ist und zumindest in Grundzügen eine Ausbildung in den Bereichen Gesprächsführung, Mediation, Psychologie und Soziologie erhalten hat und sich in diesen Bereichen auch regelmäßig fortbildet. Modelle wie die Cochemer Praxis haben gezeigt, welchen positiven Einfluss Richter nehmen können, wenn sie den Eltern die passenden Signale im Sinne ihrer Kinder geben.
Wichtig wäre auch Richtern zu verdeutlichen, welche Vorteile die Mediation auch für ihre eigene Arbeit bieten kann. Die Evaluation der Gerichtsmediation im Land Berlin[4] hat gezeigt, dass wenige Richter die vorhandenen Angebote genutzt haben und eher auf „klassischen“ Gerichtsverfahren bestanden, obwohl die Ergebnisse der Gerichtsmediation durchweg positiv waren. Auch der auf den ersten Blick höhere Zeitaufwand relativierte sich, da oftmals mehrere Verfahren miterledigt wurden und es weniger Folgeverfahren gab. Eine Aufklärung der Richter, welche positiven Wirkungen die Mediation nicht nur für Eltern und Kinder, sondern auch für ihre eigene Arbeit haben kann, wäre daher aus unserer Sicht von großer Bedeutung.
Wie der Deutsche Bundestag in BTDrucks 18/9092 bereits festgestellt hat, gibt es für Insolvenzrichter spezielle Qualifizierungsanforderungen – für die „Insolvenz“ der Familie bisher nicht. Wir begrüßen daher, dass Bundesregierung und Länder aufgefordert wurden, entsprechende Qualifizierungsanforderungen für Familienrichter zu erarbeiten, und regen an, auch die o.g. Qualifikationen in diesem Prozess mit zu berücksichtigen, um die Mediation auch wirkungsvoll fördern zu können.
[1] Dettenborn & Walter, Familienrechtspsychologie 3. Auflage, Kap. 4.4.6 „Die Elterliche Kooperationsfähigkeit und -bereitschaft“
[2] Ansgar Marx, ZKJ 9/2010 – Obligatorische Sorgerechtsmediation – Überlegungen nach kritischer Analyse des kalifornischen Modells
[3] Deutsches Jugendinstitut, Projekt „Hochstrittige Elternschaft – aktuelle Forschungslage und Praxissituation“ - Teilprojekt „Ökonomische Folgekosten von Hochstrittigkeit“, Klaus Roos und Regina Gimber-Roos
[4] Abschlussbericht zur Evaluation der Gerichtsmediation im Land Berlin, 2012, Prof. Dr. Reinhard Greger
Wir würden eine Ausweitung der Mediation im Bereich des Familienrechts außerordentlich begrüßen. Ohne tiefgreifende Änderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen ist hiermit allerdings aus unserer Sicht nicht zu rechnen. Wie dargelegt wurde, stehen die bestehenden gesetzlichen Regelungen der Mediation entgegen, verhindern diese oftmals sogar aktiv. Hierunter leiden vor allem die beteiligten Kinder, welche gerade in der Situation der für sie belastenden Trennung möglichst schnell wieder Eltern benötigen, welche sich verantwortungsvoll um sie kümmern und nicht im Streit miteinander verstrickt sind.
Wenn der Mediation im Familienrecht zum Durchbruch verholfen werden soll, dann kann dies nur gelingen, wenn es im Zusammenspiel mit weiteren Gesetzesänderungen und unter Einbeziehung aller beteiligten Gruppen (Mediatoren, Richter, Jugendämter, Beratungsstellen, Anwälte, Elternorganisationen) erfolgt. So sind die Ergebnisse der Arbeitsgruppe des BMJV zur Neuregelung des Unterhaltsrechts ebenso relevant wie die noch zu erarbeitenden Ergebnisse der von uns ausdrücklich begrüßten Zukunftsgespräche „Gemeinsam getrennt erziehen“ des BMFSFJ.
Beide Initiativen können den Weg in ein neues Familienrecht für getrennte Eltern und deren Kinder weisen. Wenn in diesem neuen Familienrecht künftig der Konsens statt des Konfliktes der Weg zum Erfolg wäre, dann würde damit vor allem den Kindern gedient sein. Es sollte daher unser aller Interesse sein, diesen Prozess möglichst schnell und zielorientiert voran zu bringen.
Wir sind gerne bereit, unsere Erfahrungen und Ideen in den angekündigten Diskussionsprozess mit einzubringen.