1. Einleitung
Am 3. Dezember 2009 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) im Fall Zaunegger (22028/04) entschieden, dass die gesetzliche Regelung der elterlichen Sorge in Deutschland gegen das Recht auf Familienleben und das Diskriminierungsverbot verstößt (Art. 14 i.V.m. Art. 8 EMRK), weil Vä-ter1 nach damaligem Recht keine Möglichkeit hatten, die elterliche Sorge unabhängig von der Zustimmung der Mutter ihres gemeinsamen Kindes zu erlangen. Daraufhin hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seiner Entscheidung vom 21. Juli 2010 (1 BvR 420/09) eine Übergangslösung geschaffen, die Vätern ein Klagerecht auf die elterliche Sorge einräumt.
1 Die Begriffe „Mutter“ und „Vater“ beziehen sich in diesem Text ausschließlich auf nicht miteinander verheiratete Eltern.
Diese Übergangslösung soll nun durch eine Gesetzesreform abgelöst werden, über die seit rund 2 ½ Jahren in Fachkreisen, Politik und Öffentlichkeit ausführlich und kontrovers debattiert wird.
2. Position des Väteraufbruch für Kinder
In seinem Positionspapier vom 10. Januar 2010 empfiehlt der Väteraufbruch für Kinder e.V., dass im Regelfall alle nicht miteinander verheirateten Eltern ab Vaterschaftsanerkennung, möglichst ab Geburt, die elterliche Sorge gemeinsam ausüben. Diese Regelung orientiert sich an dem Code Civil der Französischen Republik, der einer ganzen Reihe anderer europäischer Staaten als Vorbild für ihr eigenes Kindschaftsrecht gedient hat. Sie trägt somit zu einer Harmonisierung des europäischen Familienrechts bei.
Nach Erhebungen des Statistischen Bundesamtes wird etwa jedes 3. Kind in Deutschland nichtehelich geboren. Jedes dieser jährlich rund 230.000 Kinder hat ein Grundrecht, von seinen beiden Eltern um-sorgt zu werden. Rund 110.000 Kindern wird dieses Grundrecht jedoch verwehrt, weil keine gemein-same Sorgeerklärung zustande kommt. Durch die Übergangsregelung des BVerfG, nach der nichteheliche Väter bereits jetzt ein Antragsrecht auf die gemeinsame elterliche Sorge haben, hat sich an diesen Zahlen kaum etwas verändert.
Der Väteraufbruch plädiert deshalb dafür, die Schwelle für den Zugang zur gemeinsamen elterlichen Sorge weiter abzusenken, damit möglichst jedes Kind mit dem Start in sein Leben zwei gleichwertige und gleichberechtigte Eltern hat.
Dieses Grundanliegen ist nicht nur eine einseitige Väterforderung. Viele an der Praxis orientierte und erfahrene Fachverbände sprechen sich für eine automatische gemeinsame Sorge als Regelfall aus, so u. a. der Verband Anwalt des Kindes, der Deutsche Anwaltsverein und die Kinderkommission des Deutschen Familiengerichtstages in ihrer Empfehlung.
Ebenfalls sprechen sich nahezu alle politischen Väter- und Männerorganisationen für eine automatische gemeinsame Sorge aus. Das Bundesforum Männer als gemeinsamer Interessenverband für Jungen, Männer und Väter schreibt in seiner öffentlichen Stellungnahme vom April 2012: „Vor diesem Hintergrund schlägt das BUNDESFORUM MÄNNER eine Regelung vor, die dem nichtverheirateten Vater das Sorgerecht nach der Anerkennung der Vaterschaft automatisch zuerkennt.“
Ein wenig verwundert stellt der Väteraufbruch fest, dass diese Vielzahl an gleichgelagerten Vorstellungen im Regierungsentwurf überhaupt nicht berücksichtigt wurden.
3. Vorgaben des Koalitionsausschusses
Der nun vorliegende „Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Sorgerechts nicht miteinander verheirateter Eltern“ basiert auf Eckpunkten, die der Koalitionsausschuss von CDU/CSU und FDP am 4. März 2012 festgelegt hat.
Grundsätzlich hat sich der Koalitionsausschuss für ein sogenanntes „Antragsmodell“ entschieden: Verweigert ein Elternteil (in der Regel die Mutter) die Zustimmung zur gemeinsamen Ausübung der elterlichen Sorge, dann kann der andere Elternteil (in der Regel der Vater) diese einklagen. Damit schreibt der Koalitionsausschuss im Grundsatz die Übergangslösung des BVerfG fest, senkt aber den Zugang der nichtehelichen Väter zur gemeinsamen Sorge weiter ab: Sofern es dem Kindeswohl nicht wider-spricht (negative Kindeswohlprüfung), rückt der Vater in die gemeinsame elterliche Sorge ein.
Das Antragsmodell führt zu der absurden Situation, dass der Vater in einem (Rechts-) Streit gegen die Mutter des gemeinsamen Kindes die elterliche Sorge einklagen muss und damit zugleich die Basis für die gemeinsame Ausübung der elterlichen Sorge gefährdet. Viele nichteheliche Väter – insbesondere ohne rechtliche Grundkenntnisse – werden gerade deshalb auf eine solche Klage verzichten. Der Koalitionsausschuss schafft deshalb mit seiner Vorgabe die Möglichkeit des Auseinanderfallens von Elternschaft und elterlicher Sorge.
Da in der Regel die Pflege und Erziehung durch beide Eltern dem Kindeswohl dient, darf die gemein-same Sorge weder von der Klagebereitschaft des Vaters noch von seinem Familienstand abhängig gemacht werden. Ansonsten verstößt der Gesetzgeber gegen seine grundgesetzlich auferlegte Pflicht, „... den unehelichen Kindern durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern. (Art. 6, Abs. 5 GG)
Mit seiner Festlegung, dass die Mutter mit Geburt des Kindes zunächst die elterliche Sorge allein aus-übt, hindert der Koalitionsausschuss Väter, die ihnen auferlegte Pflicht und ihr Recht aus Art. 6, Abs. 2, Satz 1 GG auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder auszuüben. Darüber hinaus wird dem grundgesetzlichen Anspruch auf Gleichstellung von Frauen und Männern nicht genügt (Art. 3, Abs. 2 GG)
4. Gesetzentwurf
Im Wesentlichen ergänzt der Gesetzentwurf die bisherige Regelung für die gemeinsame elterliche Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern (§ 1626a BGB) durch die Möglichkeit einer familiengerichtlichen Übertragung der elterlichen Sorge auch auf den Vater (§ 1626a Abs. 1 Nr. 3 BGB): Jedes Elternteil kann unter Angabe des Geburtsdatums des Kindes (§ 155a Abs. 1 FamFG) einen entsprechenden An-trag stellen, dem stattgegeben wird, soweit die „Übertragung dem Kindeswohl nicht widerspricht“ (§ 1626a Abs. 2, Satz 1 BGB). Unter Berücksichtigung des Beschleunigungsgebots (§ 155a Abs. 2, Satz 1, FamFG) setzt das Gericht dem Antragsgegner eine Frist zur Stellungnahme, die im Falle der Mutter frühestens 6 Wochen nach der Geburt des Kindes endet (§ 155a Abs. 2, Satz 2, FamFG). Trägt der
Antragsgegner keine kindeswohlrelevanten Gründe gegen die Übertragung vor und sind solche Gründe auch sonst nicht ersichtlich, dann greift die gesetzliche Vermutung (§ 1626a Abs. 2, Satz 2 BGB), dass - 4 -
die Übertragung dem Kindeswohl nicht widerspricht und das Gericht entscheidet im schriftlichen Verfahren. Andernfalls hört das Gericht die Beteiligten und das Jugendamt an.
4.1 Einschränkung des väterlichen Grundrechts auf Pflege und Erziehung der Kinder
Wie von EGMR und BVerfG gefordert, erhält der Vater mit dieser Regelung einen Zugang zur elterlichen Sorge, der unabhängig von der mütterlichen Zustimmung ist. Verglichen mit der Übergangslösung, die das BVerfG in seiner Entscheidung vom 21. Juli 2010 formuliert hatte, wird die Hürde durch die negative Kindeswohlprüfung noch weiter abgesenkt. Die Darlegungslast liegt dadurch in der Regel nicht mehr auf Seiten der Antragssteller (in der Regel der Väter), sondern auf Seiten der Antragsgegner (in der Regel der Mütter).
Nicht hinnehmbar ist jedoch, dass das Grundrecht der nichtehelichen Väter auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder durch diese Regelung in mehrfacher Hinsicht beschnitten wird:
Ohne elterliche Sorge hat der Vater keinen Auskunftsanspruch über die Belange seines Kindes gegen-über Dritten, wie etwa Krankenhäusern. Es ist deshalb sicher zu stellen, dass der Vater in jedem Fall zeitnah das Geburtsdatum seines Kindes erfährt, damit er überhaupt einen gültigen Antrag auf Übertragung der elterlichen Sorge stellen kann.
Selbst bei zeitnaher Kenntnis des Geburtsdatums seines Kindes und einer unverzüglichen Antragstellung kann der Vater frühestens nach Ablauf der mütterlichen Stellungnahmefrist, also nach 6 Wochen, die gemeinsame Sorge erlangen. In der Praxis wird sich dieser Zeitraum noch durch Bearbeitungs- und Postlaufzeiten weiter ausdehnen. Möchte der Vater die elterliche Sorge bereits vorher erlangen, so ist er ausschließlich auf die Zustimmung der Mutter angewiesen. Innerhalb dieses Zeitraums existiert so-mit faktisch die Regelung fort, die höchstrichterlich als Verstoß gegen Grund- und Menschenrechte verworfen worden war und Anlass für die jetzige Reform der elterlichen Sorge ist.
Als alleinige Trägerin der elterlichen Sorge kann die Mutter in diesem Zeitraum grundlegende Entscheidungen treffen, wie z.B. den Kindesnamen festlegen, in Impfungen und Operationen einwilligen, die Religionszugehörigkeit des Kindes bestimmen (z.B. Taufe), an einen anderen Ort umziehen. Sie kann damit Fakten schaffen, die später - nach einer Einbeziehung des Vaters in die elterliche Sorge - gar nicht oder zumindest nicht ohne ihr Einverständnis revidierbar sind. Der Vater bleibt damit in wesentlichen für das Kind identitätsstiftenden Teilen von seinem Grundrecht auf Pflege und Erziehung ausgeschlossen.
In seiner Begründung geht der Gesetzentwurf auf diese Einschränkungen nicht ein, sondern verweist in anderem Zusammenhang lediglich darauf, dass es nach dem EGMR „... im Hinblick auf die Vielgestaltigkeit der Lebensverhältnisse, in die nichteheliche Kinder hineingeboren werden, … durchaus gerecht-fertigt (sei), zunächst allein der Mutter die elterliche Sorge zuzuweisen“ (S. 14), ohne jedoch auf die Motivation des EGMR einzugehen.
Der EGMR wollte damit aber kaum einen Freibrief für die Einschränkung väterlicher Grundrechte aus-stellen. Wie es in dem vorgenannten Zaunegger-Urteil unter Nr. 55 heißt, wollte der EGMR damit sicherstellen, dass „ … es ab der Geburt eine Person gab, die für das Kind rechtsverbindlich handeln konnte.“
Unter Berücksichtigung des Kindeswohls einerseits und des väterlichen Grundrechts auf Pflege und Erziehung andererseits wäre nun abzuwägen, unter welchen Umständen ein solches alleiniges rechts-verbindliches Handeln der Mutter ab Geburt des Kindes notwendig sein könnte. Dieses wäre allenfalls bei eilbedürftigen Entscheidungen der Fall, die so kurzfristig getroffen werden müssen, dass eine gerichtliche Klärung ungeeignet ist. Diese sind – wenn überhaupt - im Bereich der Gesundheitsfürsorge
für das Kind zu suchen, zumal lebenserhaltende Maßnahmen auch ohne Einwilligung der Sorgeberechtigten erfolgen müssen.
Der Gesetzentwurf muss deshalb nachgebessert werden, um das väterliche Grundrecht auf Pflege und Erziehung angemessen zu berücksichtigen:
Ein Antrag auf Übertragung der elterlichen Sorge muss bereits vorgeburtlich gestellt wer-den können und sollte als Option in den Vordruck für die Vaterschaftsanerkennung aufgenommen werden. Sobald ein solcher Antrag gestellt wird, übt die Mutter die Gesundheitsfürsorge bei Eilbedürftigkeit alleine aus; in allen anderen Belangen der elterlichen Sorge entscheiden die Eltern vorerst gemeinsam.
Diese Regelung hat mehrere Vorteile:
• Durch die vorgeburtliche Anerkennung ihrer Vaterschaft können sich ledige Väter frühzeitig zu ihrem Kind bekennen, Verantwortung übernehmen, die Mutter unterstützen und entlasten und damit ein Stück eheähnlicher Stabilität schaffen. Bis zu einer abschließenden Gerichtsentscheidung oder der Einwilligung der Mutter werden sie dadurch ebenfalls eheähnlich in die gemeinsame Sorge eingebunden.
• Bis zur Geburt des Kindes kann das Jugendamt zwischen den Eltern vermitteln. Gelingt das nicht, entscheidet das Familiengericht.
• Die Mutter kann bereits vor der Geburt des Kindes zum Antrag des Vaters Stellung nehmen, um das Verfahren frühzeitig abzuschließen. Dadurch können bereits vor der Geburt des Kindes klare und stabile Verhältnisse geschaffen werden.
4.2 Kindeswohl und Gleichstellung
Nach dem Gesetzentwurf erhalten Mütter wie bisher die elterliche Sorge automatisch mit der Geburt des Kindes ohne jegliche Prüfung des Kindeswohls. Nichteheliche Väter hingegen sind beim Zugang zur elterlichen Sorge von der Einwilligung der Mütter abhängig oder müssen sich einer (negativen) Kindeswohlüberprüfung unterziehen. Der Entwurf setzt somit die Gleichstellung von Mann und Frau aus Art. 3, Abs. 2 GG nicht um, sondern bleibt in dem Klischee verhaftet, dass Mütter uneingeschränkt „gut“ für Kinder sind, während väterlicherseits ein Risiko für das Kind bestehen könnte, welches es zu kontrollieren gilt.
Aus Sicht des Väteraufbruchs ist ein Zugang zur elterlichen Sorge, der von einer Kindeswohlprüfung abhängt, nicht sinnvoll, weil eine solche Prüfung aufgrund ihrer prognostischen Art von Natur aus unsicher ist. Außerdem ist die staatliche Gemeinschaft später kaum in der Lage sicherzustellen, dass diese Prognose auch wirklich trägt. Vielmehr wird durch den gleichberechtigten und prüfungsfreien Zugang von Mutter und Vater zur elterlichen Sorge ein wechselseitiges Korrektiv geschaffen, welches das Kindeswohl im Regel-fall dauerhaft absichert.
4.3 Inkohärenter Prüfmaßstab
Entscheidungen oder gerichtlich gebilligte Vergleiche zur elterlichen Sorge sind nach § 1696 BGB, Abs. 1, Satz 1 nur zu ändern, wenn „dieses aus triftigen, das Wohl des Kindes nachhaltig berührenden Grün-den angezeigt ist. Durch die Einfügung eines zweiten Satzes soll diese hohe Hürde im Falle einer Sorgeübertragung nach § 1626a Abs. 1, Punkt 3 BGB gesenkt werden: Eine Abänderung dieser Entscheidung ist möglich, sobald die Bedingungen des § 1671 BGB-E erfüllt sind.
Begründet wird diese Änderung mit der Gleichbehandlung von nichtehelichen mit ehelichen Eltern. Da letztere die elterliche Sorge aufgrund der gesetzlichen Regelung gemeinsam ausüben, kann diese nach § 1671 BGB leichter aufgehoben werden als bei nichtehelichen Eltern, die aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung die gemeinsame elterliche Sorge erhalten haben.
Durch diese Regelung wird jedoch auch die Möglichkeit geschaffen, dass der Vater die gemeinsame Sorge zunächst erhält, weil dieses „dem Kindeswohl nicht widerspricht“, und die vom Vater getrennt lebende Mutter gleich darauf einen Antrag auf Alleinsorge nach § 1671 Abs. 1 BGB stellt und diese er-hält, weil „dieses dem Kindeswohl am besten entspricht“.
Im Sinne einer einheitlichen Systematik muss der § 1671 Ab. 2 Nr. 2 BGB geändert werden:
„Dem Antrag ist stattzugeben, soweit ...
2. zu erwarten ist, dass die Beibehaltung der gemeinsamen Sorge dem Kindeswohl wider-spricht und die Übertragung auf den Antragsteller dem Kindeswohl am besten entspricht.
Ohne diese Harmonisierung der Prüfmaßstäbe in § 1671 und § 1626a bricht das Konzept des vorliegenden Entwurfs zusammen. Der materiell-rechtliche Prüfungsmaßstab wird nicht, wie der Entwurf suggeriert, generell durch die negative Kindeswohlprüfung ersetzt, sondern nur in den Fällen, in denen die weitere Voraussetzung des § 1671 ("... nicht nur vorübergehend getrennt...") nicht erfüllt ist. Diese Anknüpfung an das Zusammenleben wird der Lebenswirklichkeit vieler junger Eltern nicht gerecht, überfordert jeden Richter, der eine solche Voraussetzung in einer so dynamischen Lebensphase über-prüfen soll und führt zu völlig unverstandenen Gestaltungsrückkopplungen, die das Leben der betroffenen Familien belasten.
4.4 Nicht sorgeberechtigte Väter erster, zweiter und dritter Klasse
Nach der Kindschaftsrechtsreform von 1998 gab es zwei Klassen von nicht sorgeberechtigten Vätern:
1. Väter, die aufgrund einer fehlenden Sorgeerklärung noch nie sorgeberechtigt waren.
2. Väter (und ggf. auch Mütter), die aufgrund einer Entscheidung nach § 1671 BGB nicht mehr sorgeberechtigt sind.
3. Väter (und ggf. auch Mütter), die aufgrund einer Entscheidung nach § 1666 BGB nicht mehr sorgeberechtigt sind.
Die Unterscheidung zwischen den ersten beiden Klassen ist bereits im Jahre 2005 durch Entscheidungen der höchsten Gerichte gegenstandslos geworden und war durch verfassungskonforme Auslegungen der entsprechenden Vorschriften in § 1678 BGB und § 1680 BGB zu ersetzen.
Die beabsichtigten Änderungen in § 1680 BGB sind in diesem Sinne zielführend.
Die beabsichtigten Änderungen des § 1678 Abs. 2 BGB senkt jedoch nur die Schwelle für die vorgenannte 1. Klasse der Väter auf eine negative Kindeswohlprüfung ab. Die Väter(bzw. Mütter) der 2. Klasse haben weiterhin keine Möglichkeit, die elterliche Sorge im Falle eines dauerhaften Ruhens der mütterlichen (bzw. väterlichen) Alleinsorge zu erlangen.
Diese Regelung wirkt dem erklärten Ziel der Reform entgegen, nach dem jedes nichteheliche Kind im Regelfall möglichst zwei gemeinsam sorgeberechtigte Eltern erhalten soll: Der nichteheliche Vater könnte nämlich von einem Antrag auf Übertragung der elterlichen Sorge nach § 1626a Abs. 1, Nr. 3 absehen, wenn er befürchtet, dass ihm diese später nach § 1671 Abs. 1 i.V.m § 1696 BGB wieder entzogen wird. Rechtlich stünde er durch den Verzicht auf einen Antrag nicht nur im Falle eines dauerhaften Ruhens der mütterlichen Sorge nach § 1678 Abs. 2 besser dar, sondern auch in einer Krisensituation (z.B. Pubertät des Kindes), weil er dann nach § 1671 Abs. 2 BGB die alleinige Sorge beantragen könnte.
Dieses Konstrukt stellt die Verhältnisse somit auf den Kopf: In Extremsituationen hat ein nichtehelicher Vater, der niemals Mitsorgeverantwortung getragen hat, rechtlich eine bessere Ausgangsposition zur Erlangung der Alleinsorge als ein Vater, der seine Mitsorgeverantwortung aufgrund von § 1671 Abs. 1 BGB verloren hat.
Möglicherweise liegt dem Entwurf die Vorstellung zugrunde, dass ein Verlust der elterlichen Sorge nach § 1671 Absatz 1 regelmäßig aufgrund einer mangelnden die Erziehungseignung erfolgt. Diese Vorstellung widerspricht aber nicht nur der Rechtspraxis zum § 1671, sie widerspricht auch dem Entwurf selbst, der ja eigens den § 1696 BGB ergänzen will, damit die gemeinsame elterliche Sorge auch weiterhin in allen Fällen ohne "triftige, das Kindeswohl nachhaltig berührende Gründe" aufgehoben werden kann.
Der Väteraufbruch regt deshalb an, den § 1678 Abs. 2 BGB wie folgt zu fassen:
Ruht die elterliche Sorge eines Elternteils, die ihm gemäß § 1626 a Abs. 3 BGB oder § 1671 BGB allein zustand, und besteht keine Aussicht, dass der Grund des Ruhens wegfallen werde, so hat das Familiengericht die elterliche Sorge dem anderen Elternteil zu übertragen, wenn dies dem Kindeswohl nicht widerspricht.
4.5 Beratung nicht für Väter
Einer der Gründe für die hohe Zahl fehlender Sorgeerklärungen ist die rechtliche Unwissenheit der Väter. Es ist bis heute sowohl normal als auch legal, dass ein Vater auf dem Jugendamt oder dem Standesamt eine Vaterschaftsanerkennung beurkundet, ohne dass ihm irgendjemand erklärt hat, dass er damit noch nicht Inhaber der elterlichen Sorge ist. Demgegenüber steht die Beratungspflicht des Jugendamtes gegenüber der Mutter nach § 52a SGB VIII. Diese Ungleichbehandlung verletzt auch das Recht des Kindes gegen seinen Vater aus Art. 6, Abs. 2 GG sich um Pflege und Erziehung seines Kindes zu bemühen. Der Gesetzentwurf unternimmt keinerlei Versuch, an dieser Situation etwas zu ändern.
Wir regen deshalb an, dass auch nichteheliche Väter im Rahmen der Beurkundung der Vaterschaft verpflichtend und umfassend über die rechtlichen Rahmenbedingungen beraten werden, egal ob beim Jugend- oder beim Standesamt, und dass die Möglichkeit geschaffen wird, auch Sorgeerklärungen beim Standesamt zu beurkunden.
4.6 Gerichts- und Verfahrenskosten
Im Allgemeinen können Grundrechte von Menschen nicht ohne Prüfung des Einzelfalls eingeschränkt werden. Mit seiner Entscheidung für ein Antragsmodell legt sich der Gesetzgeber jedoch auf eine solche pauschale Einschränkung des Grundrechts auf Pflege und Erziehung gegenüber nichtehelichen Vätern fest.
Nach Auffassung des Väteraufbruchs ist der Gesetzentwurf deshalb um eine Regelung zu ergänzen, die Eltern in Zusammenhang mit Anträgen nach § 1626 a, Abs. 1, Nr. 3 BGB von den Gerichts- und Verfahrenskosten frei hält.
4.7 Sorgerechtsregister
Bezüglich der Frage, ob künftig das Jugendamt oder das Familiengericht das Geburtsjugendamt des Kindes über die Änderungen des Sorgestatus informieren soll,
spricht sich der Väteraufbruch für eine direkte Berichterstattung durch das Familiengericht aus, weil diese zeitnäher erfolgt.
Generell erscheint die Praxis, dass Eltern ihre Sorgeberechtigung mit Negativbescheinigungen und Gerichtsentscheidungen in Papierform nachweisen, überholt. Diese Regelung lädt geradezu dazu ein, eine falsche Sorgeberechtigung vorzugeben, zumal diese nur mit großem Zeitaufwand durch Nachfrage beim Geburtsjugendamt überprüft werden können. Es wird deshalb angeregt, sämtliche Dokumente mit eine zeitlichen Befristung für ihre Nachweiskraft auszustellen. Ist dieses Datum abgelaufen, so haben sich die Sorgeberechtigten neue Bescheinigungen vom Geburtsjugendamt ausstellen zu lassen.
Noch effizienter wäre die Einrichtung eines bundesweit zentralen Sorgerechtsregisters, damit die Gültigkeit eines vorgelegten Dokuments ggf. online überprüft werden kann.
5. Weiterer Handlungsbedarf
Über den vorliegenden Gesetzentwurf hinaus sieht der Väteraufbruch noch Handlungsbedarf in folgenden Punkten:
5.1 Stärkung der elterliche Kooperation
Aus der Rechtspraxis sind dem Väteraufbruch viele Fälle bekannt, in denen einem mitsorgeberechtigten Elternteil – in der Regel dem Vater – die elterliche Sorge nach § 1671 BGB mit dem Argument entzogen wurde, dass die Eltern aufgrund mangelnder Kooperationsfähigkeit nicht in der Lage seien, gemeinsame Entscheidungen für ihr Kind zu fällen. Auf ein Verschulden dieses Elternteils kommt es dabei nicht an, sondern nur auf die gerichtliche Erwartung, dass die Übertragung der elterlichen Sorge auf den Antragsteller dem Kindeswohl am besten entspricht. Solche Entscheidungen sind aus Sicht des „entsorgten“ Elternteils in der Regel nicht nachvollziehbar und werden als ungerecht empfunden. Tat-sächlich findet sich dieses Elternteil damit in derselben rechtlosen Position wieder, wie ein Elternteil, dem die elterliche Sorge aufgrund einer Gefährdung des Kindeswohls nach § 1666 BGB entzogen worden ist.
Aus Sicht des Väteraufbruch müssen deshalb die Antragsmöglichkeiten von gemeinsam sorgeberechtigten Eltern erweitert werden: Neben der Möglichkeit nach § 1671 Abs.1 BGB die Alleinsorge zu beantragen und damit die Notwendigkeit einer elterlichen Kooperation in Sorgeangelegenheiten zu beenden, sollte eine weitere Antragsmöglichkeit auf Einsetzung eines Kooperationsmanagers2 als 3. Sorgeberechtigtem geschaffen werden.
2 siehe ZKJ, 2010, S. 401-404
Dieser Kooperationsmanger hat die Aufgabe, die Kommunikation der Eltern zu fördern, ihre Kooperationsfähigkeit zu stärken und zusammen mit den Eltern nach gemeinsamen Entscheidungen zu suchen. Gelingt es ihm in Einzelfragen nicht, eine Einigung der Eltern zu vermitteln, und besteht akuter Entscheidungsbedarf, dann macht er von seinem Sorgerecht Gebrauch, um eine Mehrheitsentscheidung herbeizuführen. Die Eltern bleiben dadurch im Rahmen ihrer Kooperationsfähigkeit autonom und können diese Schritt für Schritt weiter ausbauen.
5.2 Überfrachtung des Sorgerechts durch sachfremde Anknüpfungen
Seit der Kindschaftsrechtsreform wurde regelmäßig jedes neue Gesetz mit familiärem Bezug mit speziellen Privilegien für Alleinerziehende ausgestattet und mangels eines anderen Anknüpfungspunktes der Status "Alleinerziehend" mit der Sorgeberechtigung gleichgesetzt. So ist das bei der 14-Monats-Option im Elterngeldgesetz (§ 4 Abs. 2 BEEG) und so ist das bei der Frage der örtlichen Zuständigkeit der Gerichte in Kindschaftssachen (§ 154 FamFG).
Auch im Namensrecht gibt es sachfremde Anknüpfungen, so hat auch das Recht der Einbenennung (§ 1618 BGB) originär nichts mit Erziehungsverantwortung zu tun, und die 3-Monatsfrist aus § 1617b BGB verliert durch die Reform der elterlichen Sorge jede systematische Rechtfertigung.
Diese sachfremden Aspekte halten die Eltern tendenziell davon ab, die gemeinsame Sorge zu erklären.
Würde der Gesetzentwurf seine erklärte Zielsetzung, in allen unproblematischen Fällen die gemeinsame Sorge herstellen zu wollen, ernst nehmen, dann würde er all diese alten Baustellen bereinigen und diese Dinge so regeln, dass sie von der elterlichen Sorge entkoppelt sind.
Gleichzeitig nimmt die Bedeutung der elterlichen Sorge in ihrem ursprünglichen Sinn, nämlich der Übernahme von Erziehungsverantwortung im Alltag, immer weiter ab, durch eine entsprechend weit-gehende Auslegung der Alltagsentscheidungen nach § 1687 BGB, durch Anknüpfung an die Meldeadresse anstelle der Sorgeberechtigung in einigen Bereichen (z.B. beim Reisepass) oder indem es schlicht niemanden interessiert (z.B. im Schulwesen).
Man muss also auch fragen, ob das Sorgerecht in seiner heutigen Form überhaupt noch ein sinnvolles Konzept ist oder längst zu einer leeren Hülle verkommen ist, die nur noch als Trophäe und Träger für sachfremde Privilegien dient, und ob nicht durch ein neues Konstrukt, dass nur die Ausübungsbefugnis regelt anstelle der Rechtsinhaberschaft, die eigentlichen Fragen viel besser gelöst werden könnten.
6. Schlussfolgerungen
Der positive Grundgedanke des vorliegenden Gesetzentwurfs, durch die Einführung der negativen Kindeswohlprüfung eine gesetzliche Präferenz zugunsten des gemeinsamen elterlichen Sorge zu schaffen, scheitert an seiner rechtlichen Ausgestaltung: In einem mindestens sechswöchigen Zeitraum ab der Geburt ihrer Kinder können nichteheliche Väter nach wie vor die elterliche Sorge ausschließlich mit Zustimmung der Mutter erlangen. Außerdem verstößt das Wechselspiel der §§ 1626a, 1671 und 1696 BGB gegen das Gebot der Normenklarheit und die „Zweiklassengesellschaft“ von Vätern, die nie sorgeberechtigt waren bzw. ihre elterliche Sorge nach § 1671 BGB verloren haben, wird nicht überzeugend aufgelöst.
Der Väteraufbruch sieht sich deshalb in seiner Position bestätigt, dass nichteheliche Väter grundsätzlich mit der Vaterschaftsanerkennung bzw. -feststellung möglichst bereits ab Geburt ihres Kindes die elterliche Sorge gemeinsam mit der Mutter ausüben.
Sollte der vorliegende Entwurf ohne weitere Änderungen vom Deutschen Bundestag so verabschiedet werden, dann sind weitere Klagen vor dem BVerfG und dem EGMR absehbar. Auch 14 Jahre nach der Kindschaftsrechtsreform hätte es der Gesetzgeber somit nicht geschafft, die elterliche Sorge für nicht miteinander verheiratete Eltern im Einklang mit den Grund- und Menschrechten nichtehelicher Väter zu regeln.
Frankfurt/M., 17. Mai 2012