Über diese Beschreibung eines Istzustands hinaus möchte ich heute einen kleinen Einblick in die Geschichte der deutschen Sorgerechtsregelungen geben, wobei ich mich allerdings nicht auf Regelungen nicht miteinander verheirateter Eltern beschränke, sondern auch auf die Regelungen von miteinander verheirateten Eltern eingehen werde.
Darüber hinaus werde ich auch auf einige, aus heutiger Sicht „Anekdoten“ des Familienrechts, das ja das Sorgerecht einschließt, eingehen.
Derartige Regelwerke sind allgemein in Gesetzesbüchern niedergeschrieben. In der Bundesrepublik Deutschland trägt das zentrale Gesetzbuch den Namen „Bürgerliches Gesetzbuch“, BGB.
Es entstand in Konsequenz der Schaffung des Deutschen Reiches im Jahre 1871 und fasste die bis dahin bestehenden, über Jahrhunderte gewachsenen kleinstaatlichen Landesrechte zu einem einheitlichen Reichsrecht zusammen. In Kraft trat das BGB zur Jahrhundertwende am 1. Januar 1900.
Diese Urform des BGBs hatte in Bezug auf die Ehe - zumindest aus heutiger Sicht - eher patriaschale Züge:
Sorgerechtsregelung während Ehe
So hatte beispielsweise der Absatz 1, erster Halbsatz des § 1354 folgenden Wortlaut: „Dem Manne steht die Entscheidung in allen das gemeinschaftliche eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten zu;“ Der Mann hatte also in allen Eheangelegenheiten die absolute Entscheidungshoheit.
Das betraf das eheliche Leben an sich. Das Sorgerecht für die Kinder, damals elterliche Gewalt, legte dagegen lediglich fest: „Das Kind steht, solange es minderjährig ist, unter elterlicher Gewalt.“ Wie das zu verstehen war, das regelte gleich der nächste Paragraf: „Der Vater hat kraft der elterlichen Gewalt das Recht und die Pflicht, für die Person und das Vermögen des Kindes zu sorgen.“
Aber auch der Mutter gestand man ein Recht ein: „Neben dem Vater hat während der Dauer der Ehe die Mutter das Recht und die Pflicht, für die Person des Kindes zu sorgen;“ Aber: „zur Vertretung des Kindes ist sie nicht berechtigt.“
Damit hatte die Mutter zwar auch ein Personensorgerecht (und eine Personensorgepflicht) für die gemeinsamen Kinder; das Vertretungsrecht, und damit auch die Vermögenssorge und -pflicht! oblag jedoch einzig und allein dem Vater.
Waren sich die Eltern jedoch in einer Angelegenheit nicht einig, dann galt: „Bei einer Meinungsverschiedenheit zwischen den Eltern geht die Meinung des Vaters vor.“ Das war der sogenannte Stichentscheid.
Nebenbei: interessant finde ich auch den § 1356, der da lautet: „Die Frau ist, …, berechtigt und verpflichtet, das gemeinschaftliche Hauswesen zu leiten.“
Sorgerechtsregelung bei Scheidung
Kam es zu einer Scheidung, dann galt, dass bei einer schuldhaften Scheidung das Sorgerecht dem nicht schuldhaft geschiedenen Elternteil zustand. Für den Fall, dass beide Elternteile schuldig geschieden wurden, sah das BGB eine aus heutiger Sicht kuriose Regelung vor: demnach stand das Sorgerecht für Töchter und für Söhne unter 6 Jahren der Mutter zu. Für Söhne über 6 Jahre hatte der Vater das Sorgerecht.
Das betraf das Personensorgerecht. Das Vertretungsrecht der gemeinsamen Kinder stand jedoch nur dem Vater zu.
In der Urfassung des BGBs sind auch Pflichten des Kindes aufgeführt.
So lautet beispielsweise der § 1617: „Das Kind ist, …, verpflichtet, in einer seinen Kräften und seiner Lebensstellung entsprechenden Weise den Eltern in ihrem Hauswesen und Geschäfte Dienste zu leisten.“ Tat es das nicht, dann legte § 1631 fest: „Der Vater kann kraft des Erziehungsrechts angemessene Zuchtmittel gegen das Kind anwenden. „ Und weiter: „Auf seinen Antrag hat das Vormundschaftsgericht ihn durch Anwendung geeigneter Zuchtmittel zu unterstützen.“
Sorgerechtsregelung bei unehelichen Kindern
Wurden jedoch Kinder außerhalb einer Ehe gezeugt, also die sogenannten unehelichen Kinder, oder wurde eine Ehe für nichtig erklärt, dann sah das Familienrecht folgendes vor: § 1589: „Ein uneheliches Kind und dessen Vater gelten nicht als verwandt.“ Konsequenterweise hatte der Vater auch kein Sorge- und auch kein Umgangsrecht.
Das Personensorgerecht (und die Personensorgepflicht) für ein uneheliches Kind hatte nach § 1707 die Mutter inne. Zur Vertretung des Kindes war sie jedoch nicht berechtigt. Das Vertretungsrecht stand einem Vormund zu.
Der Vater hatte zwar keinerlei Rechte am Kind, auch kein Umgangsrecht, hatte nach § 1708 aber eine umfangreiche Unterhaltspflicht: „Der Vater des unehelichen Kindes ist verpflichtet, dem Kinde bis zur Vollendung des sechzehnten Lebensjahrs den der Lebensstellung der Mutter entsprechenden Unterhalt zu gewähren.“
Soweit erst einmal zur Urform unseres BGBs. Es beinhaltet zwar viele Regelungen, die uns aus heutiger Sicht seltsam, und manchmal auch patriarchalisch erscheinen; Wir dürfen das BGB aber nicht mit unseren heutigen Augen betrachten. Vielmehr müssen wir sehen, dass es über Jahrhunderte gewachsen war, und wir können annehmen, dass diese Regelungen von einer deutlichen Bevölkerungsmehrheit auch als gerecht angesehen wurden.
Veränderungen im BGB
Gesetze sind allgemein nicht statisch. Sie passen sich veränderten Lebensbedingungen an. Auch das BGB wurde mehreren Reformen unterzogen.
Die erste große Reform erfolgte 10 Jahre nach Gründung der Bundesrepublik. Sie wurde notwendig, da Artikel 3 GG vorschrieb bzw. vorschreibt, dass Männer und Frauen gleichberechtigt sind und der Staat bestehende Nachteile zu beseitigen habe. Sehr grob vereinfacht gesagt, folgte aus den Vorgaben des GGs, dass im Familienrecht der Begriff Vater durch den Begriff Eltern ersetzt wurde.
1977 erfolgte dann die Eherechtsreform, bei der im Wesentlichen das Schuldprinzip durch das Zerrüttungsprinzip ersetzt wurde.
1994 wurde das Namensrecht geändert. Fortan konnten die Eheleute wählen, wessen Name der Familienname sein soll. Auch Doppelnamen sind seitdem zulässig.
Die nächste große Reform kam 1998: die sogenannte Große Kind-schaftsrechtsreform. Im Scheidungsfalle wird seitdem nicht mehr zwangsläufig das alleinige Sorgerecht einem Elternteil zugewiesen, sondern nur auf Antrag. Allerdings dauerte es noch etliche Jahre, bis das Gesetz in dieser Form von einer nennenswerten Anzahl von Familienrichtern auch umgesetzt wurde.
Soweit zu den, im Kontext des heutigen Tages, wichtigsten Reformen im Familienrecht.
Verwandtschaftsrecht
Betrachten wir nun einmal - kurz - einige Auszüge des Familienrechts, nämlich Teile des Verwandtschaftsrechts, des Eherechts, des Sorge- und des Umgangsrechts in ihrer Entwicklung:
Wer Mutter war und ist, daran hat sich seit Bestehen des BGBs nichts Wesentliches geändert.
Vater eines Kindes war bis 1998 derjenige Mann, der mit der Mutter verheiratet war. Uneheliche Kinder hatten keinen Vater im heutigen Sinne, sondern nur einen Zahlvater.
Seit 1998 gilt derjenige Mann als Vater, der zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter des Kindes verheiratet ist, der die Vaterschaft anerkannt hat, oder dessen Vaterschaft festgestellt worden ist. Damit haben, zumindest laut Gesetz, auch uneheliche Kinder einen Vater.
Dass die Wirklichkeit anders aussieht, nämlich dass vielen Kindern - auch ehelichen - selbst heute noch nur ein Zahlvater zugestanden wird, liegt meines Erachtens weniger an den Gesetzen, als vielmehr an der Rechtsprechung.
Eherecht
Im Eherecht hat sich natürlich auch einiges getan:
Der § 1354, der dem Manne in allen Eheangelegenheiten die absolute Entscheidungshoheit überlies, wurde bereits 1958 ersatzlos gestrichen.
Der § 1355, der den Ehenamen bestimmt, hat sich, ausgehend von einem einzigen Satz in der Urfassung des BGBs, nämlich „Die Frau erhält den Familiennamen des Mannes“, zu einem wahren Monster mit 15 Sätzen, verteilt auf 6 Absätze, entwickelt!
Auch die Regelung, dass die Frau berechtigt und verpflichtet ist, den gemeinsamen Haushalt zu führen, hat sich grundlegend verändert: Von 1958 bis 1977 führte sie den Haushalt in eigener Verantwortung und war berechtigt, erwerbstätig zu sein. Und seit 1977 regeln die Ehegatten die Haushaltsführung im gegenseitigen Einvernehmen.
Umgangsrecht
Bis 1998 hatten beide Elternteile, sofern sie verheiratet sind oder waren, ein Umgangsrecht mit den gemeinsamen Kindern. 1998 wurde aus diesem Umgangsrecht der Eltern ein Umgangsrecht der Kinder; wohingegen die Eltern zum Umgang verpflichtet und berechtigt wurden. Aber: das Familiengericht kann den Umgang beschränken oder ausschließen!
Auch Großeltern haben seit 1998, zumindest auf dem Papier, ein eigenes Umgangsrecht mit ihrem Enkelkind, wenn eine Bindung zwischen ihnen und dem Kind besteht. Lässt also ein umgangsboykottierender Elternteil die Entwicklung einer natürlichen Bindung zwischen Kind und Großeltern nicht zu, dann steht den Großeltern auch kein Umgangsrecht zu.
Und seit 2001 wurde dieses Umgangsrecht auch auf den neuen Lebenspartner des Sorgerechtsinhabers ausgedehnt.
Dieser Umstand führte dann dazu, dass 2002 das BVerfG die Nichteinbeziehung des leiblichen Vaters in das Umgangsrecht für verfassungswidrig erklärte. 2004 wurde das Umgangsrecht dann auch auf den leiblichen Vater und die Geschwister ausgedehnt, sofern er/sie längere Zeit mit dem Kind zusammen gewohnt hat/haben.
Sorgerecht - Ehe
Eine Wandlung der besonderen Art unterlag das Sorgerecht:
Stand am Anfang das Recht (aber auch die Pflicht) der Personen- und Vermögenssorge für eheliche Kinder fast ausschließlich dem Vater zu, wurde es bereits 1958 auf beide Elternteile ausgedehnt.
Bei der Ausübung dieses Sorgerechts konnte der Vater geeignete Zuchtmittel einsetzen (§ 1631) und das Vormundschaftsgericht musste ihn bei der Anwendung auf Antrag unterstützen.
1958 hieß es dann nicht mehr „Vater“, sondern „Eltern“, und es hieß auch nicht mehr „Zuchtmittel“, sondern „geeignete Maßnahmen“.
1980 wurde dann die Personensorge (hier in Form der Erziehung und Beaufsichtigung) durch ein Recht und eine Pflicht zur Pflege des Kindes ergänzt, und erstmals wurden entwürdigende Erziehungsmaßnahmen für unzulässig erklärt.
1998 wurde dann die Sorgepflicht vor das Sorgerecht gestellt, und auch körperliche und seelische Misshandlungen wurden für ebenfalls unzulässig erklärt.
Seit 2000 haben Kinder ein Recht auf eine gewaltfreie Erziehung.
Kurzum: das Kind wurde hier von einem Sorgeobjekt zu einem Sorgesubjekt.
Sorgerecht - Scheidung
Die Sorgerechtsregelungen galten aber nur, solange die Eltern miteinander verheiratet waren. Im Falle einer schuldhaften Scheidung galt bis 1938, wie bereits erwähnt, dass das Sorgerecht derjenige erhielt, der nicht schuldhaft geschieden wurde.
Von 1958 bis 1977 galt wiederum, dass sich die Eltern über das Sorgerecht zu einigen haben, und dass bei Uneinigkeit das Vormundschaftsgericht zu entscheiden hatte, wem das Sorgerecht zu übertragen sei. In der Regel war dies der nicht schuldhaft geschiedene Elternteil.
1977 entfiel dann dieser Passus. Fortan konnten auch Ehebrecher das alleinige Sorgerecht erhalten!
1980 wurde dann eingeführt, dass bei Sorgerechtsentscheidungen die Bindungen des Kindes - auch zu den Geschwistern - zu berücksichtigen sind, und das ein 14-jähriges Kind im Falle der Einigung der Eltern über das Sorgerecht ein Widerspruchsrecht hatte.
1982 entfiel dann die Regelung, dass das Sorgerecht allein einem Elternteil allein zu übertragen sei.
Und seit 1998 gilt im Falle einer Scheidung, dass nur auf begründetem Antrag ein alleiniges Sorgerecht vergeben werden kann.
Sorgerecht - unehelich
Bei unehelichen Kindern hatte der Vater anfangs keinerlei Rechte, sondern nur die Pflicht zum Unterhalt.
Erst seit 1998 können solche Väter, abhängig vom Wohlwollen der Mutter, auch ein Sorgerecht erhalten. Diese Wohlwollensklausel wurde noch 2003 vom BVerfG als grundgesetzkonform bestätigt.
Erst auf Drängen des Auslands in Form des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte erkannte das BVerfG im Juli diesen Jahres, dass das Vetorecht der Mutter im Widerspruch zum Grundgesetz steht. Seither können, bis zum Abschluss einer gesetzlichen Regelung, auch Väter, die - aus welchen Gründen auch immer - nicht mit der Mutter ihres Kindes verheiratet sind, einen Antrag auf ein gemeinsames Sorgerecht stellen.
Diese gesetzliche Regelung soll es Mitte des kommenden Jahres geben.
Ich bin gespannt, ob sich der Gesetzgeber für ein modernes, der aktuellen Lebenswirklichkeit angepasstes Recht entscheiden wird, oder ob wieder ewig Gestrige die Oberhand behalten werden.
Aber unabhängig davon, wie sich der Gesetzgeber entscheiden wird, es wird meines Erachtens wie 1998 nach der Großen Kindschaftsrechtsreform noch Jahre dauern, eh eine nennenswerte Anzahl von Familienrichtern das neue Gesetz auch entsprechend anwenden wird.
Und selbst dann werden Väter nur ein Stück Papier in den Händen halten, dessen Umsetzung in eine gelebte Beziehung zwischen Vater und Kind allein vom Wohlwollen der Mutter abhängen wird.
Denn wie auch beim Sorge- oder Umgangsrecht der geschiedenen Väter wird sich niemand für eine Umsetzung des auf dem Papier Geschriebenen einsetzen.
Wir haben gesehen, dass sich das Familienrecht von einem damals gesellschaftlich anerkannten und eher patriarchalen Recht in ein weitestgehend geschlechtsneutrales Recht gewandelt hat.
Dass jedoch die Auslegung des Familienrechts eher matriarchal und gesellschaftlich überwiegend nicht anerkannt ist, liegt weniger am BGB, als vielmehr an den Ideologien und Wertvorstellungen derjenigen, die dieses Recht anwenden sollen.
Betrachtet man die Entwicklungen des BGBs und der Rechtsprechung der letzten Jahre, dann stellt man vermehrt Anzeichen eines „Familienrechts mit menschlichem Antlitz“ fest.
Für uns und alle anderen, die ihren Kindern eine vom menschenverachtenden Geschlechterkampf befreite Gesellschaft übergeben wollen, heißt es nun nicht, mit dem Erreichten zufrieden zu sein, sondern weiter und noch mehr Lobbyarbeit für ein kein Geschlecht diskriminierendes Familienrecht zu betreiben. Denn, und nun zitiere ich eine ehemalige Senatorin für Justiz:
„Es ist ganz erkennbar, dass es jeweils eine Frage der Macht, der Initiative und der Lobby ist, wer gerade am Zuge ist. Im Augenblick sind es ganz klar die Väter, die Korrekturen nachholen, wo sie es können. Deshalb möchte ich den Frauen hier zurufen: Bleiben Sie wachsam! Eines Tages kommt auch Ihre Zeit wieder!“
Ende des Zitats einer Senatorin für Justiz!
Jürgen Griese
Tag der Menschenrechte 2010