An zwei Orten zuhause

Obwohl immer noch ein großer Teil der Gerichte anders urteilt: Bei beiden Eltern zu möglichst gleichen Teilen zu wohnen hat gegenüber dem Residenzmodell viele Vorteile.

Aktive Väter

Es betrifft etwa eine Million Kinder, so das Deutsche Jugendinstitut (dji): Sie sind an zwei Orten zuhause. Die Zahl ist in den letzten Jahren stetig angestiegen. Ein Grund ist die Kindschaftsrechtsreform von 1998, die eine gemeinsame elterliche Sorge nach der Scheidung zum Normalfall erklärt. Diese Reform beruhte auch auf einem Wandel des Bildes von Vaterschaft weg von der Ernährerposition hin zu einer aktiven Rolle in der Familie.

Diese Multilokalität, wie es wissenschaftlich genannt wird, bedeutet: Familie muss an zwei Wohnorten organisiert werden. Die ganze Logistik muss doppelt vorhanden sein, vom Bett bis zur Zahnbürste, vom Handtuch bis zum Kinderbesteck. Das kostet viel Geld. Und nicht nur das: auch der zeitliche Aufwand für die Betreuung ist enorm hoch, vor allem, wenn Papa nicht um die Ecke wohnt.

Familie bleibt trotz Trennung

Jede sechste Familie in Deutschland ist nach Auskunft des dji eine sogenannte Nachtrennungsfamilie. Mindestens 12,5 % der Minderjährigen leben demnach mit getrennten Eltern; in Großstädten und in Ostdeutschland sind es mehr, rund 20 %. Die meisten leben bei ihrer Mutter, der Vater wird besucht oder kommt zu Besuch.

Mit der Trennung ist die Familie nicht aufgelöst. Nach den dji-Studien haben 34 % der Kinder einen guten Kontakt zum Vater, er nimmt regen Anteil am Leben des Kindes. Etwa 11 % treffen ihre Kinder mehr als einmal pro Woche und/oder telefoniert, chattet, skypet oder hat auf andere Weise zusätzlich mehrfach Kontakt.

Der gute Kontakt wird gefördert, wenn die Eltern nah beieinander wohnen. Das ist bei etwa 20 % der Fall, sie leben höchsten eine Viertelstunde Fußweg voneinander entfernt. Etwa 23 % brauchen jedoch mehr als eine Stunde, um zu ihrem Vater gelangen zu können. Bei ihnen sind die persönlichen Treffen nicht so häufig, der Kontakt über elektronische Medien dagegen intensiver. Je weiter entfernt sie voneinander leben, desto häufiger ist der Kontakt abgebrochen: Etwa 30 % haben keinen Kontakt mehr zum Vater, wenn sie mehr als eine Stunde brauchen, um ihn zu erreichen. Bei den „Viertelstündern“ sind es immerhin noch 11 %.

„Kinder brauchen stabile Bindungen“

Das heißt, knapp 90 % der Kinder können den Kontakt zum Vater aufrecht erhalten, wenn sie in seiner Nähe wohnen und die Wege zumindest teilweise selbstständig bewältigen können! Das ist ganz im Sinne der Kinder: Sie wollen mit beiden Eltern zusammen sein, wenn es nicht anders geht, eben an zwei Orten. Angela Hoffmeyer, Mitglied des Bundesvorstand des Väteraufbruchs für Kinder, bestätigt: „Kinder brauchen stabile Bindungen!“

Aus Sicht der Kinder sei das wesentlich wichtiger als ein fester materieller Lebensmittelpunkt. „Das Residenzmodell, bei dem eine Person – in der Regel die Mutter – bestimmt, wo die Kinder wohnen und der andere zu Besuch kommt, ordnet Bindung und Beziehung dem festen Wohnort unter“, so Hoffmeyer. Sie plädiert für eine „paritätische Doppelresidenz“: „Paritätisch heißt nicht unbedingt 50:50. Es kommt vor allem auf die Gleichwertigkeit an. Wie hoch der Betreuungsanteil des Vaters und der Mutter jeweils ist, muss das Paar klären. Das taten sie ja auch, als sie noch zusammen wohnten.“ Für eine andere Aufteilung können berufliche Gründe sprechen, aber auch die Wünsche der Kinder sowie praktische Bedingungen wie Entfernung, Lage der Kita oder Schule etc.

Gefühle brauchen Zeit

Für die Kinder bedeutet das Leben an zwei Orten eine hohe Herausforderung, vor allem im emotionalen Bereich. Laut dji betreiben sie „Gefühlsarbeit“ auf unterschiedlichen Ebenen: Sie freuen sich auf Papa, sind traurig beim Abschied, zeigen in der mütterlichen Wohnung Vorfreude, sind gespannt, was passieren wird. Gleichzeitig müssen sie mit den Erwartungen und Gefühlen der Eltern umgehen, wie z.B. der Traurigkeit des Vaters beim Abschied. Das braucht Zeit und Geduld, sowohl der Kinder als auch Verständnis des jeweils anderen Elternteils, der mit diesen Gefühlslagen konfrontiert ist. „Das hat jedoch nichts mit der Situation des Pendelns zwischen zwei Wohnorten zu tun“, meint Hoffmeyer, „das ist beim Residenzmodell nicht anders, wenn ein Besuchswochenende ansteht.“

Eine gute Möglichkeit, diese emotionalen Herausforderungen zu bewältigen, sind feste Rituale, so das dji. Lieblingspizza bei Papa am ersten Abend, gemeinsam Sportschau gucken, einmal lange aufbleiben und zusammen am Computer daddeln oder die Sterne beobachten – das können Möglichkeiten sein, über immer wiederkehrende Gemeinsamkeiten Stabilität herzustellen. Viele Kinder brauchen auch Übergangsobjekte wie Kuscheltiere, mit denen sie zusammen auf die Reise bzw. den Weg machen. Die sind dann an beiden Orten zuhause, genau wie sie selbst.

Wenn die Eltern streiten

Wohnen die Eltern weit voneinander entfernt, ist die Organisation sicherlich schwerer. Aber nicht unmöglich: „Dann sind flexible Lösungen gefragt“, sagt Hoffmeyer: „Wenn die Kinder nicht alle zwei Wochen auf eine lange Reise gehen sollen, dann ist es vielleicht möglich, sie über die ganzen Ferien zu Papa zu schicken.“ Wichtig sei immer, den Kontakt aus der Sicht der Kinder zu betrachten. „Da müssen die Eltern kooperieren, damit ihr Liebstes – ihre Kinder – zu ihrem Liebsten – ihren Eltern – kommen können.“ Nötigenfalls müsse auch Berufstätigkeit eingeschränkt werden.

Wenn die Eltern aber dennoch ständig streiten? „Das spricht nicht gegen die Paritätische Doppelresidenz“, so Hoffmeyer, „denn wieso sollten sie weniger streiten, wenn die Kinder fest an einem Ort wohnen?“ Streit und Stabilität seien die Punkte, die immer wieder gegen das Zwei-Wohnorte-Modell angeführt würden. „Bei den gängigen Besuchsregelungen im Residenzmodell gibt es sehr viel häufigere Wechsel“, sagt sie.

Und der Unterhalt?

Mit der stärkeren Beteiligung der Väter an der Betreuung müsse auch das Unterhaltsrecht geändert werden. Momentan muss immer der volle Unterhalt gezahlt werden, auch wenn sich der Vater nur wenige Prozent weniger an der Betreuung beteiligt. Die Juristin Prof. Dr. Hildegund Sünderhauf schlägt hier ein gerechteres gestuftes Modell vor: Bis 10 % Betreuungsleistung sollte voller Unterhalt gezahlt werden, bis zur Hälfte zwei Drittel und 50:50-Betreuung sollte die Zahlung ausgeglichen sein. So würden auch die erhöhten Aufwendungen der Eltern, die durch Fahrten, zwei entsprechend große Wohnungen, Kleidung etc. entstehen, aufgefangen.

„Wichtig ist doch immer, was für die Kinder als Ergebnis herauskommt“, sagt Hoffmeyer. Und die haben nichts davon, wenn der Vater verarmt oder sich mit den Kindern nicht einmal mehr eine Kinokarte leisten kann. Vor allem steht für die Kinder nicht das Materielle im Vordergrund. Sondern die Liebe zu beiden Eltern.

Weitere informationen:
www.vaeteraufbruch.de/index.php?id=355
www.twohomes.org