Bundesfamilienministerin Kristina Schröder im Interview mit der Welt

Kristina Schröder spricht im Interview mit der Welt über Zeitpolitik als Familienpolitik, eine mögliche Frauenquote in Unternehmen und mögliche Änderungen beim Elterngeld.

 

DIE WELT: Frau Ministerin, Sie sagen, Zeit sei die Leitwährung moderner Familienpolitik. Heißt das nicht einfach: Liebe Familien, der klamme Staat kann nichts mehr für euch tun?

 

Kristina Schröder: Das ist Quatsch. Eine der größten Herausforderungen für Eltern ist es nun mal, Beruf und Zeit für die Familie in eine vernünftige Balance zu bringen. Viele Frauen, die Kinder haben und nur 20 Stunden arbeiten, würden gern etwas mehr arbeiten. Viele Väter würden gern auf 30 Stunden Wochenarbeitszeit reduzieren. Auch die wollen was von ihren Kindern haben! Aber da sind etliche Unternehmen noch immer schrecklich fantasielos und bieten oft nur 20- oder 40- Stunden-Modelle an. Deshalb sage ich: Wir brauchen flexiblere Teilzeitangebote.

 

DIE WELT: Wie kann das geschehen?

 

Kristina Schröder: Zunächst: Kultureller Wandel vollzieht sich nicht per Gesetz. Aber ich werbe gemeinsam mit dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag in den einzelnen Kommunen für mehr Flexibilisierung der Arbeitszeit. Ein weiteres großes Problem ist dabei auch unsere Präsenzkultur. In anderen Ländern ist es ganz selbstverständlich, dass Familienmütter und -väter pünktlich um 18 Uhr gehen, weil sie ihre kleinen Kinder gerne selbst ins Bett bringen möchten. Das ist oft die einzige Chance, die Kinder wach zu erleben - und damit elementar für viele Familien. Doch diese Väter und Mütter bekommen dann bei uns in Deutschland im Unternehmen oft Sprüche zu hören wie: "Na, du arbeitest wohl Teilzeit?"

 

DIE WELT: Sind Sie für die Einführung einer Mütterquote?

 

Kristina Schröder: Nein, aber die Überlegungen dahinter sind wichtig für die Debatte. Es ist ja wirklich ein Problem, dass es in vielen Führungsetagen noch immer eine Unternehmenskultur gibt, die auf 70 bis 80 Wochenstunden ausgelegt ist. Gerade Eltern von kleinen Kindern können das nicht leisten. Das schaffen nur Menschen, die entweder keine familiäre Verantwortung haben oder diese abgegeben haben - zum Beispiel an den Ehepartner. Das betrifft aber im Übrigen auch Männer - familiäre Verantwortung wird oft bestraft.

 

DIE WELT: Vielleicht fürchten viele Arbeitgeber bei Eltern einen Nachteil?

 

Kristina Schröder: Fast alle Unternehmen haben erkannt, wie wichtig Familienfreundlichkeit ist - sie müssen diesen Kulturwandel aber auch umsetzen. Der Fachkräftemangel verdeutlicht einmal mehr, dass es nicht klug ist, auf die Sichtweise und das Potenzial der Frauen zu verzichten. Aber neben der familienfeindlichen Arbeitskultur gibt es oft noch eine zweite Ursache dafür, dass bisher zu wenige Frauen in Führungsetagen sitzen: Viele Männer fördern Männer, weil sie ihnen ähnlich sind. Die kommen gar nicht auf die Idee, eine Frau einzustellen.

 

DIE WELT: Also doch eine Frauenquote?

 

Kristina Schröder: Für mich ist eine Quote nur die Ultima Ratio. Gerade in den vergangenen Monaten hat sich in der Wirtschaft viel getan, Frauen erobern peu à peu in vielen Branchen die Chefetagen. Solange sich wirklich etwas bewegt, kann ich gut auf eine Quote verzichten.

 

DIE WELT: Also in dieser Legislatur wird in keinem Fall eine Frauenquote kommen?

 

Kristina Schröder: Wie gesagt: Eine Quote ist für mich Ultima Ratio. Ich bin grundsätzlich sehr zurückhaltend, wenn es darum geht, der freien Wirtschaft etwas vorzuschreiben. Was die Vorstände angeht, gäbe es da auch gravierende verfassungsrechtliche Bedenken. Anders als bei den Aufsichtsräten.

 

DIE WELT: Die Regierung will das Elterngeld für Hartz-IV-Empfänger streichen. Trifft man damit nicht die, die es am meisten bräuchten?

 

Kristina Schröder: Natürlich ist das keine leichte Entscheidung gewesen. Aber ich bitte drei Sachen zu bedenken. Erstens: Es entspricht dem Kerngedanken des Elterngelds. Das Elterngeld ist schließlich keine Sozialleistung, sondern eine Familienleistung - es geht dabei nicht wie bei anderen staatlichen Leistungen ums Umverteilen, sondern um Lohnersatz für Arbeitnehmer, die sich Zeit für ihre Kinder nehmen wollen. Zweitens: Auch vor dem Hintergrund des Lohnabstandsgebotes ist es richtig, das Elterngeld auf den Hartz- IV-Bezug anzurechnen. Eine Familie mit zwei Kindern, die Hartz IV bezieht und für ein Kind Elterngeld bekommt, bezieht inklusive Miete Leistungen von durchschnittlich 1885 Euro monatlich. Das muss man erst mal netto verdienen. Und drittens wird eines oftmals vergessen: Damit Hartz-IV-Leistungen den Bedarf decken, werden die Regelsätze ja gerade jetzt zurzeit neu berechnet. Das ist vor allem für Kinder wichtig, die einen ganz anderen Bedarf als Erwachsene haben.

 

DIE WELT: Die FDP fordert, dass künftig auch Hausfrauen kein Elterngeld mehr bekommen. Ist das mit Ihnen zu machen?

 

Kristina Schröder: Nein. Für mich gilt: Das Kabinett hat das Sparpaket einvernehmlich verabschiedet, und wir sollten die Ergebnisse der Klausur nun erst mal umsetzen. Familien brauchen Verlässlichkeit und nicht jede Woche neue Sparvorschläge. Wir sollten doch eines bedenken: Wer bekommt denn dieses Mindestelterngeld? Studenten, die ganz große Gruppe der Aufstocker, aber auch Familien, die in kurzen Abständen zwei, drei Kinder bekommen haben. Da frage ich mich: Will man ernsthaft diesen Familien das Elterngeld streichen?

 

DIE WELT: Können Sie angesichts des Sparzwangs überhaupt noch neue Projekte planen?

 

Kristina Schröder: Natürlich. Nehmen Sie nur die Familienpflegezeit. Oder nehmen Sie die zwölf Milliarden Euro für Bildung und Forschung. Ich kämpfe dafür, dass ein Teil davon für frühkindliche Bildung eingesetzt wird. Zum Beispiel dafür, mehr Erzieherinnen und Erzieher für die Sprachförderung in Brennpunkt- Kitas zu schicken. Deutsch sprechen und verstehen zu können, das ist schließlich elementar wichtig für den weiteren Lebens- und Bildungsweg. Da gibt es immer öfter Defizite, auch bei Kindern aus deutschen Familien.

 

DIE WELT: Wie kann man die Kinder aus bildungsfernen Schichten fördern?

 

Kristina Schröder: Wir müssen so früh wie möglich Hilfsangebote machen. Das beginnt bei den Hebammen, die sich schon vor der Geburt um die Familien kümmern. Ich halte es für wichtig, dass sie sich auch nach der Geburt länger als bisher um die Familien kümmern können. Ohnehin ist die Arbeit der Hebammen auf diesem Gebiet nicht zu ersetzen. Oder nehmen Sie etwa auch die gerade eben angesprochene Sprachförderung. Wichtig ist mir aber ebenso - und zwar nicht nur für Kinder aus bildungsfernen Schichten -, dass wir gemeinsam ein neues Kinderschutzgesetz auf den Weg bringen. Kinderärzte sollten nach meiner festen Überzeugung von ihrer Schweigepflicht entbunden werden, wenn sie Spuren von Misshandlungen bei einem Kind feststellen. Wir dürfen Kinder da nicht alleinlassen!

 

''Das Interview erschien am 5. Juli in DIE WELT. Das Gespräch führten Miriam Hollstein und Dorothea Siems.''