Nach seiner bisher gültigen Fassung fördert das BEEG Eltern, die sich die Betreuung ihrer Kinder bei gleichzeitiger gemeinsamer Berufstätigkeit teilen, in geringerem finanziellen Umfang, als Eltern, die nacheinander ihre Berufstätigkeit komplett unterbrechen, um ihre Kinder zu betreuen. Der Referentenentwurf stellt diese Ungleichbehandlung ab, stärkt die partnerschaftlich-symmetrische Aufgabenverteilung der Eltern, verschafft Familien mehr Zeitsouveränität und verhilft Müttern zu einem früheren (Wieder-) Einstieg in den Beruf, um Armutsrisiken zu mindern und den Gender Pay-Gap zwischen Männern und Frauen zu verringern.
Gleichstellung von Vätern mit Müttern
Der VAFK unterstützt alle diese Ziele uneingeschränkt und regt zusätzlich an, einen weiteren gleichstellungspolitischen Aspekt in der Argumentation des Referentenentwurfs zu berücksichtigen: Durch die flexiblere Einbindung von Vätern in die Betreuung ihrer Kinder fördert die Reform des BEEG einen früheren und nachhaltigeren Bindungsaufbau. Die Reform mindert dadurch das Kontaktverlustrisiko zwischen Kindern und ihren Vätern, falls sich die Eltern später trennen. Da jährlich rund 200.000 Kinder von einer Trennung ihrer Eltern betroffen sind – etwa jedes 3. Kind, das in Deutschland geboren wird – ist dieser Aspekt der Reform für Kinder und Väter von erheblicher Bedeutung.
Leben in gemeinsamem Haushalt
Nach §1, Absatz 1, Nummer 2 ist eine von vier notwendigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Elterngeld, dass der betreuende Elternteil mit dem Kind in einem gemeinsamen Haushalt lebt. Diese Voraussetzung gilt sowohl für das Basiselterngeld nach §4 Abs. 2 Satz 2 als auch für das Elterngeld Plus nach § 4 Abs. 3 BEEG.
Diese Voraussetzung mag für das Basiselterngeld sinnvoll sein, wenn der Gesetzgeber davon ausgeht, dass der Empfänger des Elterngelds die Betreuung des Kindes wirklich rund um die Uhr komplett alleine übernimmt.
Im Zusammenhang mit dem Elterngeld Plus wird die Beibehaltung dieser Voraussetzung im Referentenentwurf nicht explizit begründet. Lediglich bei den Partnerschaftsbonusmonaten auf S. 27 wird argumentiert: „Wenn beispielsweise im Fall einer Trennung ein Elternteil den gemeinsamen Haushalt verlässt, führt dies dazu, dass keine gemeinsame Betreuung des Kindes mehr gegeben ist, so dass beide Elternteile keinen Anspruch auf den Partnerschaftsbonus haben.“
Dieser Auffassung widerspricht der VAFK aus folgenden Gründen:
- Auch bei getrennter Haushaltsführung ist es durchaus möglich, dass beispielsweise die Mutter am Vormittag einer Erwerbstätigkeit nachgeht, während der Vater das Kind betreut, und die Eltern am Nachmittag ihre Rollen tauschen. Das Elternteil, das jeweils das Kind betreut, übernimmt dann mindestens in gleichem Umfang die Kinderbetreuung, die sonst eine Kinderkrippe leisten würde.
- Ein erklärtes Ziel des Referentenentwurfs für die Einführung des Elterngelds Plus und der Partnerschaftsbonusmonate ist es, dass beide Eltern eingeschränkt erwerbstätig sind und sich bei der Kinderbetreuung abwechseln. Warum verfolgt der Referentenentwurf dieses Ziel nicht für moderne Familienformen, die als „living apart together“ (LAT) in zwei getrennten Haushalten leben oder nach einer Trennung das Doppelresidenzmodell praktizieren?
- Zieht ein betreuender Elternteil während seines Bezugs von Elterngeld aus dem Haushalt seines Kindes aus, dann entfällt sein Anspruch auf Elterngeld nach § 4, Abs. 2, Satz 3 BEEG zum Monatsende. Das BEEG stellt somit das Prinzip eines gemeinsamen Haushalts über die personelle Kontinuität der Kinderbetreuung. Unter dem Aspekt des Kindeswohls dürfte diese Hierarchisierung juristisch kaum haltbar sein, insbesondere wenn derjenige Elternteil den Haushalt des Kindes verlässt, der seine Hauptbezugsperson ist. Der Referentenentwurf leistet sich somit eine offene juristische Flanke, die – sollte sie beibehalten werden – gerichtlich aufzuarbeiten sein wird.
- Aufgrund der oben genannten Voraussetzung klafft in dem Gesetzentwurf eine systematische Lücke für Elternteile („Alleinerziehende“), die alleine mit ihrem Kind in einem Haushalt leben und nicht die Voraussetzungen des § 4 Abs. 6 Satz 1 erfüllen: Einerseits fehlt ihnen ein/ eine Partnerin, der/die einen eigenen Anspruch auf Elterngeld hat (und damit für Entlastung bei der Kinderbetreuung sorgen könnte), andererseits haben sie keinen Anspruch auf eine Verlängerung der Anspruchsmonate nach § 4 Abs. 6 Satz 1 und 2.
- Das Familienbild des BEEG, das auf einem gemeinsamen Haushalt gründet, ist inzwischen auch im juristischen Diskurs überholt: Im Rahmen der Neuregelung der elterlichen Sorge für nicht miteinander verheirateter Eltern war in den Jahren 2010/11 erwogen worden, Eltern, die in häuslicher Gemeinschaft leben, automatisch die gemeinsame Sorge zuzuerkennen. Eine solche kriterienbasierte Regelung wurde jedoch sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz verworfen, weil es Konstellationen gibt, in denen die Kriterien zwar nicht erfüllt sind, eine gemeinsame Sorge beider Eltern trotzdem im Sinne des Kindeswohls ist. Aus gleichem Grund sollte das BEEG die Diskriminierung bestimmter Familienformen sorgfältig vermeiden und Eltern selbstständig entscheiden lassen, wie sie ihr Familienleben gestalten wollen.
Der VAFK empfiehlt deshalb, zumindest den Anspruch auf Elterngeld Plus unabhängig von einer Haushaltsgemeinschaft mit dem betreuten Kind zu formulieren und im Falle getrennter Haushalte rechtlichen Eltern einen eigenständigen Anspruch auf Elterngeld einzuräumen.
Anzahl der minimalen Partnermonate für Elterngeld Plus
In § 4 Abs. 5 Satz 2 wird die minimale Voraussetzung für die Bezugsdauer von Elterngeld auf 2 Monate festgelegt, ohne nach Basiselterngeld und Elterngeld Plus zu differenzieren. Im Sinne der Systematik des Elterngeld Plus, die Gesamtbezugsdauer (für beide Eltern) zu verdoppeln schlägt der VAFK vor, die Mindestbezugsdauer für Elterngeld Plus auf 4 Monate zu erhöhen.
Haushaltsentlastungen
Im Referentenentwurf wird auf Seite 2 laut Tabelle mit einer Entlastung des Bundeshaushalts in Höhe von insgesamt 100 Mio. Euro gerechnet. Der VAFK bittet um eine Erklärung, warum die Autoren des Entwurfs erwarten, dass durch die Einführung des Elterngeld Plus Einsparungen erzielt werden und wie diese verwendet werden sollen.
Aufwand und Handhabung der Partnerschaftsbonusmonate
Grundsätzlich sind Maßnahmen, die Eltern bei der Kinderbetreuung unterstützen, zu begrüßen.
Bei den Partnerschaftsbonusmonaten stellt sich jedoch die Frage, ob Aufwand und Nutzen in einem sinnvollen Verhältnis stehen:
Aus dem Referentenentwurf geht hervor, dass für die Partnerbonusmonate
- Anträge getrennt von dem eigentlichen Elterngeldantrag gestellt werden können,
- Eltern Mitteilungsfristen gegenüber ihren Arbeitgebern zu berücksichtigen haben,
- gesonderte Vor- und Hauptbescheide ausgestellt werden müssen,
- Eltern und im Ersatzfall Unternehmen auskunftspflichtig sind über die tatsächlich geleisteten Arbeitszeiten,
- und - sofern die Limits von durchschnittlich 25 bis 30 Wochenarbeitsstunden von nur einem Elternteil überschritten werden - der Partnerbonus für beide Eltern wieder rückabgewickelt wird.
Eine wesentliche Vereinfachung würde erzielt, wenn die Eltern zunächst ihre „normalen“ Elterngeld Plus Monate nehmen. Die Eltern können dann Anspruchsverlängerungen nach Abs. 4 Satz 1 bis 3 beantragen, sobald sie die Voraussetzungen erbracht und nachgewiesen haben. Dadurch entfallen Vorbescheide, nachträgliche Kontrollen und Rückabwicklungen.
Flankierende Maßnahmen
Der Referentenentwurf trägt zu einer Flexibilisierung des Elterngelds bei und fördert die Symmetrisierung der Aufgabenverteilung von jungen Eltern.
Der VAFK schlägt zusätzliche Maßnahmen vor, um die Wirksamkeit des BEEG zu erhöhen und mehr Eltern eine gemeinsame Betreuung ihrer Kinder zu ermöglichen:
- Eltern und Unternehmen sollten bei der Umsetzung der Elternzeit beraterisch unterstützt werden. Der VAFK hat zu diesem Zweck bereits im Sommer 2010 bei einem Gespräch mit dem BMFSFJ ein Projekt vorgestellt, dass eine zweistufige Beratung vorsieht: Zunächst werden junge oder werdende Eltern darin unterstützt, Ihre Ziele für die Elternzeit zu formulieren. Dann werden die Arbeitgeber in die Beratung mit eingebunden, um diese Ziele umzusetzen und mit betrieblichen Randbedingungen harmonisieren. Dadurch wäre auch die Fortführung einer gemeinsamen Kinderbetreuung über die Elternzeit hinaus leichter möglich.
- Einige Unternehmen stellen bei der Leistungsbeurteilung ihres Managements auf den sogenannten „Head Count“ ab, d.h. die Umsatzerlöse oder Gewinne einer Abteilung werden durch die Anzahl der Mitarbeiter („Köpfe“) geteilt. Das führt dazu, dass Teilzeitkräfte – wie z.B. beim Elterngeld – diese Kennzahlen verschlechtern und das Management tendenziell abwehrend auf Teilzeitbeschäftigung reagiert. Da das Ausmaß einer solchen strukturellen Diskriminierung in der Wirtschaft bisher unbekannt ist, regt der VAFK an, entsprechende Studien in Auftrag zu geben, um den gesetzgeberischen Handlungsbedarf festzustellen.
- Die Symmetrisierung der Aufgabenverteilung auf der Elternseite, die durch das BEEG gefördert wird, sollte auch auf der Seite von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern erfolgen. Ergänzend zu einem „Lebenspartner“ könnte es auch einen „Arbeitspartner“ geben, der jeweils zeitversetzt in Teilzeit arbeitet, um eine Arbeitsstelle insgesamt in Vollzeit zu besetzen. In Zeiten des demographischen Wandels bietet dieser Ansatz ein großes Potential auch für Vereinbarkeitsaufgaben außerhalb der Elternzeit, wenn z.B. von Erwachsenen die Pflege ihrer Eltern übernommen wird.
Bundesvorstand
Rainer Sonnenberger