Das elterliche Entfremdungssyndrom

Stefan, 38, und Amanda, 36, aus der Gegend von Stuttgart, haben sich getrennt als ihr Sohn Philip 6 Jahre alt war. Amanda zog, bald nach der Trennung, 500 km weiter weg. Sie wollte ihre Ruhe haben und Stefan aus dem Umgang mit dem gemeinsamen Sohn ausschließen. Sie wollte ihre Ruhe haben und Stefan aus dem Umgang mit dem gemeinsamen Sohn ausschließen.

Das sei unschön und lächerlich, meinte Stefan, da Philip „uns beide braucht und wir sollten unseren Sohn nicht in einen Loyalitätskonflikt hineintreiben.“ Doch Amanda hatte eine andere Sichtweise: „Die Wahrheit ist, dass wir getrennt und bald auch geschieden sind und ich allein bin für die Erziehung von Philip zuständig. Du darfst schön weiterzahlen, mehr nicht.“

Inzwischen sind 8 Jahre vergangen. Amanda konnte, trotz Beschlüsse des Familiengerichts, durchsetzen, dass Vater und Sohn sich nur selten und dann nicht mehr trafen. Irgendwann sagte Philip, er wolle mit seinem Vater nichts mehr zu tun haben, er sei ein „Stressfaktor“, ein „Unruhestifter“, einer, der die Mama immer wieder „nur aufregt und traurig macht“.

Dass derjenige Elternteil, bei dem das Kind wohnt, es leicht hat, das Kind zu manipulieren, ist jedem bekannt. Der Beziehungsabbruch der Eltern ist für ein Kind (unter zehn Jahren) eine traumatische Erfahrung. Sind die Eltern unfähig, trotz Trennung oder Scheidung, dem gemeinsamen Kind den unverkrampften Zugang zur Mutter und Vater zu ermöglichen, entsteht in relativ kurzer Zeit – manchmal in 3 Wochen und manchmal innerhalb von 3 Monaten – das, was die Fachsprache PAS (patental alienation syndrom) nennt, also: Elternentfremdungssyndrom. Darunter versteht man die Ablehnungshaltung des Kindes gegenüber einem Elternteil, eine Haltung, die keineswegs gerechtfertigt ist, da sie nicht im Verhalten des abgelehnten Elternteils begründet ist.

Wir sprechen hier also nicht von echtem Kindesmissbrauch, wo die Ablehnung gerechtfertigt ist, sondern von Fällen, bei denen Umgang- und Sorgerechtstreitigkeiten oder das Aufenthaltsbestimmungsrecht im Vordergrund stehen und der sogenannte entfremdende Elternteil das Kind gegen den anderen Teil indoktriniert. Ergebnis: Nach der Trennung sieht das Kind in relativ kurzer Zeit – und je nachdem, bei wem es wohnt – nur den „bösen Papa“ und die „liebe Mama“ oder umgekehrt. Für die Unfähigkeit der Eltern, einen Konsens zu erringen, bezahlt das Kind teuer und viele Jahre hindurch. In Wirklichkeit kann sich kein Kind die Enttäuschung des betreuenden Elternteils erlauben, denn es ist für jedes Kind lebensnotwendig, sich zumindest an einen Elternteil halten zu können. Und so zeigt sich nach nur wenigen Wochen, dass der entfremdete Elternteil plötzlich – vom Kind selbst – demontiert, abgewertet und verunglimpft wird, wenn er Umgang mit dem Kind sucht. Schöne Erlebnisse werden entweder ausgeblendet oder umgedeutet oder geleugnet, und der abgelehnte Elternteil ist nur noch böse, gemein, lieblos, eine „Ratte“ und gefährlich. Das sind, im Kern, Symptome eines PAS-Syndroms. – Der Gutachter fragt den sechsjährigen Sven, was der Vater denn konkret getan hätte, dass er ihn nicht mehr sehen wolle und ob er, Sven, konkret gehört oder gesehen hätte, was der Vater getan habe. Sven antwortet nach langem Zögern: „So direkt nicht, aber ich hab’s gespürt und die Mama hat’s mir gesagt.“ Worauf der Gutachter: „Aber der Papa liebt dich, so hat er mir versichert, und er will dich gerne sehen.“ Doch Sven wehrt ab: „Die Mama will ihn nicht sehen und ich auch nicht. Er ist einfach böse zu uns.“
Dieses „zu uns“ verrät, wie weit die PAS-Störung bei Sven vorangeschritten ist. Gerade mal drei Monate haben sich Vater und Sohn nicht gesehen und der Sechsjährige weiß schon Bescheid, was der Vater getan oder nicht getan hat.

Das in Deutschland überstrapazierte Wort »Kindeswohl« bedeutet, im Kern und in Essenz, dass ein Kind Eltern braucht. Goethe hat es gewusst: „Zwei Dinge sollten Kinder von ihren Eltern bekommen: Wurzeln (von der Mutter) und Flügel (vom Vater).“

Dieses Wort, »Eltern« gibt es in der deutschen Sprache nur in Pluralform. Und das bedeutet, dass Vater und Mutter zutiefst involviert sind. Elternschaft ist nicht rückgängig zu machen (während eine Partnerschaft sehr wohl aufgelöst werden kann). Nur das hellste Bewusstsein darüber, dass zum Kindeswohl das Erhalten der Bindung an die Eltern wesentlich und existenziell dazugehört, vermag das unnötige und sinnwidrig verursachte Leiden vieler Kinder zu mildern. Die besten Interessen des Kindes erfordern, dass in aller erster Linie die Eltern selbst auf jegliches besitzergreifendes Verhalten und Egozentrierung verzichten und sich redlich darum bemühen, trotz Streitigkeiten, ihrem gemeinsamen Kind das wirklich Gute zu ermöglichen. Dann erst wird „schließlich die Wahrheit selbstverständlich“, um erneut Schopenhauer zu zitieren, nämlich diejenige Wahrheit, die in der folgenden realen Geschichte zum Vorschein kommt.

Iris hat sich nach 15 Jahren Ehe von Günter getrennt. Zum Zeitpunkt der Scheidung sind sie 39 Jahre alt. Sie haben eine 12jährige Tochter: Sandra. Nach der Trennung zog Iris mit der Tochter in eine eigene Wohnung und ein Jahr später zog sie mit einem neuen Partner in einer anderen Stadt zusammen. Die Tochter akzeptierte den neuen Partner nicht, sie telefonierte täglich mit ihrem „Papa“, was Iris allerdings auch ausdrücklich gewünscht und gefördert hat.

Es war Iris von Anfang an klar, dass ihre Tochter Priorität hat. Sollte das Zusammenleben mit dem neuen Partner nicht gelingen, weil Sandra stark rebellierte und der Mutter vorgeworfen hatte, sie habe ihr den „Papa“ und „ihr Zuhause“ genommen, so war Iris in ihrer Seele bereit, ihre neue Partnerschaft aufzugeben, um sich der Erziehung der Tochter zu widmen. Ein Jahr später ist die inzwischen 13-jährige Sandra einfach verschwunden. Iris war verzweifelt und außer sich. Sie nahm sofort Kontakt mit ihrem Exmann auf. Günter sagte, die Sandra sei „wieder hier“, wohne aber nicht zu Hause bei ihm, sondern woanders. Sie rufe ab und zu an und mache ihm wie der Mutter Vorwürfe, dass sie nicht fähig gewesen seien, sie als Tochter zu erziehen. Iris fühlte sich zutiefst betroffen. In kürzester Zeit verließ sie ihren neuen Partner und fuhr in ihre alte Stadt zurück. Das Ende dieser Geschichte ist: Sandra ist mit 14 Jahren schwanger geworden, wobei Iris und Günter, inzwischen erneut ein Paar, mitgeholfen haben, dass Sandra das Kind bekommt. Inzwischen ist dieses Kind, ein Mädchen, 13 Jahre alt, gesund und wohlgeraten und wohnt bei seinen Eltern: Sandra ist immer noch mit dem Mann zusammen, der damals sie verschwängert hatte. Auch Iris und Günter sind ein Paar: Sie haben sogar ein zweites Mal geheiratet. Die Krise der gemeinsamen Tochter hat sie wieder zueinandergeführt. Das Leben selbst bezwingt Menschen, den verfehlten Sinn erneut in den Blick zu bekommen, um das wieder gut zu machen, was sie selbst auf falsche und schlechte Weise, sinnwidrig und schuldhaft in die Welt gesetzt haben.

Fazit: Die Lösung des Hauptproblems der Entfremdung, falls sie schon eingetreten ist, haben zu 95% die Eltern selbst in der Hand. Sie wird realisiert, indem die Eltern vor ihrem gemeinsamen Kind stehen, es liebevoll anschauen und die Worte sprechen: Du bis unser geliebtes Kind und wir lieben dich auch nach unserer Trennung!


Fürstenfeldbruck, 20.02.2014 (E-Mail: otto@zsok.de)


Kurzinformationen über Bücher von Dr. Otto Zsok (82256 Fürstenfeldbruck Ordenslandstr. 7) zum Thema  ENTFREMDUNG EINES KINDES VON EINEM ELTERNTEIL
(Stand: Februar 2014)

Das Rätsel, das aus Kinderaugen fragt. Die Lehre vom Geistes-Menschen nach Texten von Viktor Frankl und Bô Yin Râ, hrsg. v. Otto Zsok und Rita Briese, München: Profil Verlag 2000, 90 Seiten, Euro 17. (Ein wunderschönes Meditationsbuch mit 30 Fotos von Kindergesichter von Rita Briese).
Ich bin es, Dein Vater! Briefe an meinen 15-jährigen Sohn. Tagebuchaufzeichnungen, EOS-Druck, St. Ottilien, September 2008, 188 Seiten (mit 71 Fotos), Euro 18,50. (Ein »Liebe-Buch« des Vaters Otto Zsok für seinen fünfzehnjährigen Sohn).

Weil die Mutter es nicht wollte
... Wie ein Kind zum „Halbwaisen“ gemacht wurde. Dokumentation einer Entfremdung zwischen Vater und Sohn. Thalhofen: Bauer-Verlag, Juni 2009, 193 Seiten, Euro 18,50. – (Eigene Erfahrungen des Autors mit der Mutter des gemeinsamen Sohnes sind in diesem Buch fakten- und wahrheitsgemäß dokumentiert. Die Mutter ist evangelische Religionslehrerin).

Weil der Vater es nicht wollte
... Wie Alexander auf seine Mutter und die Mutter auf ihren Sohn verzichten musste. Dokumentation einer Entfremdung zwischen Mutter und Sohn. Thalhofen: Bauer-Verlag, November 2009, 129 Seiten, Euro 18,50. – (Authentische Dokumentation über das unverantwortlich entfremdende Verhalten eines Vaters, der den 9-jährigen Sohn mit Hilfe des Familiengerichts zu sich nimmt, mit der Konsequenz, dass Sohn und Mutter sich seit 15 Jahren nicht mehr sehen).

Eltern-Kind-Entfremdung – und was danach?
Psychogramm des entfremdenden Elternteils, Thalhofen: Bauer-Verlag, Februar 2010, 209 Seiten, Euro 18,50. – (Vier authentische Fälle: zwei aus der Schweiz, zwei aus Deutschland über zwei Mütter und zwei Väter, denen der jeweils andere Elternteil die Kinder entfremdet – mit Unterstützung des Familiengerichts. Außerdem: Kritik des Jugendamtes, der Mentalität des Familiengerichts und der Desinteresse der involvierten „Behörden und Ämter“ am Leiden der Kinder, sowie die Perspektive der leidenden Kinder).

Eine stolze Religionslehrerin.
Eine romanhafte Erzählung mit Bildern und Illustrationen, Thalhofen: Bauer-Verlag, Juli 2010, 120 Seiten, Euro 13,50

Karsamstag.
Ein Tatsachenroman, Thalhofen: Bauer-Verlag Juni 2011, 180 Seiten, Euro 14,80

Meine Erfahrungs- und Lebenswerte in den Jahren 1974 – 1977.
Ein Erlebnisrückblick, Thalhofen: Bauer-Verlag September 2011, 132 Seiten, Euro 14,95 (Meinem Sohn zum 18. Geburtstag gewidmet)

Zwei Väter.
Ein Tatsachenroman (zusammen mit Rudolf Rieger). Erscheint wahrscheinlich im Mai oder Juni 2014.

Alle Bücher können durch: otto@zsok.de bestellt werden. Porto von ca. 1,50 Euro kommt hinzu.

Otto Zsok, Jahrgang 1957, ist Vater eines Sohnes, den er seit Juni 1999 nicht sehen darf, weil die Mutter es so wollte. (Der Sohn wurde 18 Jahre alt im Sept. 2011.). Otto Zsok lebt in Fürstenfeldbruck bei München. Er hat Theologie und Sozialarbeit in Freiburg studiert, dann Ausbildung in Logotherapie und Existenzanalyse von Viktor Frankl am Süddeutschen Institut für Logotherapie in Fürstenfeldbruck absolviert.

Promotion in Philosophie an der Hochschule für Philosophie in München mit dem Werk „Musik und Transzendenz“ (St. Ottilien, EOS Verlag 1998). Er war sieben Jahre als Sozialarbeiter beim Diözesancaritasverband in München tätig. –

Seit Herbst 1991 Dozent für Logotherapie am Süddeutschen Institut für Logotherapie und Existenz-analyse gAG in Fürstenfeldbruck (si@logotherapie.de) und dort seit 2003 auch als Institutsdirektor und als logotherapeutischer Lebensberater tätig. Autor von 33 Büchern. Weitere Informationen, siehe unter: www.logotherapie.de