Im nun vom Bundesverfassungsgericht zu entscheidenden Fall verhält es sich aber so, dass der Beschwerdeführer als biologischer Vater selbst eine sozial-familiäre Beziehung zum leiblichen Kind hat. Eine Vorrangstellung des Mannes, der sich im Gegensatz zum leiblichen Vater im Familienverband um das Kind kümmert, ist im gegenwärtigen Fall somit nicht mehr erkennbar.
Leider ist der Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts vom 02.08.2023 nicht zu entnehmen, ob und gegebenenfalls welche Bindung der rechtliche Vater mit dem Kind hat. Bekannt ist bisher nur, dass dieser Mann als rechtlicher Vater gilt, während mitgeteilt wurde, dass eine sozial-familiäre Beziehung zwischen Kind und Beschwerdeführer besteht. Aber darauf kommt es nicht entscheidend an. Denn selbst wenn das Kind zu beiden Männern eine sozial-familiäre Beziehung pflegt bzw. diese mit ihm, ist es weder aus dem Aspekt des Kindeswohls noch aus dem Gesichtspunkt des grundgesetzlichen Gleichheitsgrundsatzes zu vertreten, dem leiblichen Vater die Vaterschaft zu verwehren und der rechtlichen Vaterschaft den Vorzug zu geben. Dies gilt erst Recht, sollte der rechtliche Vater keine sozial-familiäre Beziehung zum Kind (mehr) pflegen. Aber selbst wenn beide Männer eine vergleichbar gute sozial-familiäre Beziehung zum Kind pflegen, hat der leibliche Vater gegenüber dem nur rechtlichen Vater eine wesentliche Eigenschaft, die dem rechtlichen Vater fehlt: das Kind stammt von ihm ab! Der rechtliche Vater kann außer seiner rechtlichen Vaterschaft und seiner mutmaßlichen sozial-familiären Beziehung nur dessen Paarbeziehung der Mutter vorweisen, sofern eine solche überhaupt noch besteht.
Das Bundesverfassungsgericht hat nun zu entscheiden, welcher Vaterschaft es den Vorzug gibt, nämlich der des leiblichen Vaters mit einer sozial-familiären Beziehung zum Kind oder der des rechtlichen Vaters mit einer (mutmaßlich) sozial-familiären Beziehung und (mutmaßlicher) Paarbeziehung zum Kind.
Würde das Bundesverfassungsgericht der Vaterschaft des rechtlichen Vaters den Vorzug geben, kann dies außer mit der bestehenden sozial-familiären Beziehung nur noch mit der Paarbeziehung zwischen ihm und der Mutter begründet werden. Dies würde aber bedeuten, dass das ausschlaggebende Argument ein solches ist, das für das Kindeswohl völlig unbeachtlich ist. Außerdem ist es angesichts der hohen Zahl von Trennungen und Scheidungen grundsätzlich nicht unwahrscheinlich, dass die Paarbeziehung zur Mutter und infolge dessen die sozial-familiäre Beziehung zum Kind durch eine Eltern-Kind-Entfremdung zerbrechen könnte, die in etwa 20 % der Trennungs- und Scheidungsfälle ein schlimmes Schicksal für Trennungskinder ist. Ein solches Schicksal hingegen droht der leiblichen Vaterschaft nicht. Er ist mit der Mutter nicht (mehr) liiert und pflegt trotzdem eine sozial-familiäre Beziehung zum Kind. Eine Eltern-Kind-Entfremdung ist daher ausgeschlossen. Andernfalls wäre sie längst eingetreten. Die Vaterschaft des leiblichen Vaters stellt daher die für die Zukunft des Kindes stabilere dar. „Vor diesem Hintergrund vertritt der Väteraufbruch für Kinder e. V. die Ansicht, dass dem leiblichen Vater die Anerkennung der Vaterschaft ermöglicht und der Gesetzgeber aufgefordert werden muss, § 1600 Abs. 2 und Abs. 3 BGB innerhalb einer zu setzenden Frist zu reformieren. Bis zu dessen Gesetzesreform muss eine Übergangsmöglichkeit durch das Bundesverfassungsgericht angeordnet werden, damit dem Kindeswohl sofort gedient ist“, so Marcus Gnau, Jurist und Bundesvorstandsmitglied des Väteraufbruch für Kinder e.V.
„Ob eine doppelte Vaterschaft angesichts der Reform des Abstammungsrechts („Mit-Mutterschaft“) mit dem Grundgesetz vereinbar ist, sollte das Bundesverfassungsgericht als Lösung des Problems prüfen. Denn wenn ein Kind zwei Mütter haben kann, was spricht dann gegen zwei Väter?“, so Marcus Gnau weiter.
[1]
EGMR: Beschwerdesache Ahrens gegen Deutschland, Urteil vom 22.03.2012, # 45071/09;
EGMR: Beschwerdesache Kautzor gegen Deutschland, Urteil vom 22.03.2012, # 23338/09.