Immer mehr Doppelverdienerfamilien
„Papa hat zu wenig Zeit für mich“, das ist noch immer die wesentliche Klage der Kinder laut World-Vision-Studie 2013. Denn die Belastung der Eltern hat sich durch ihre Arbeitszeit in den letzten Jahren deutlich gewandelt: Nur noch 32% der Familien leben klassisch nach dem Alleinverdiener-Modell, in 35% der Familien arbeitet ein Elternteil – in der Regel der Vater – Vollzeit, die Mutter Teilzeit. Dass beide einer Vollzeitbeschäftigung nachgehen, kommt in 13% der Familien vor.
Für die Kinder bedeutet das: Sie müssen sich stärker an Regeln halten, so Prof. Dr. Sabine Andresen, Mitautorin der Studie. Denn wenn die Eltern zu wenig Zeit haben, muss alles so laufen, wie sich die Erwachsenen das vorstellen. Nicht gerade das demokratische Modell. Insbesondere gemeinsame Unternehmungen fallen oft unter den Tisch. Auch direkte Zuwendung, gemeinsamer Fernseh- oder Leseabend, oder einfach unverplante Zeit miteinander – das ist in den Doppelverdienerfamilien Mangelware. Und darunter leiden die Kinder.
Erziehung ist Sache der Eltern
Das ist nichts Neues, sehr viele Studien bieten seit Jahren ähnliche Befunde. Politische Strategien, wie mit der höheren Arbeitsbelastung der Eltern und dem daraus resultierenden Zuwendungsmangel für Kinder umzugehen ist, sind nicht vorhanden. Doch langsam kommt Bewegung in dieses Thema, das wirklich allen Familien unter den Nägeln brennt. Und sofort werden die verschiedenen Standpunkte deutlich. Familienministerin Manuela Schwesig brachte, kaum war sie im Amt. Den Vorschlag auf, Eltern sollten einen Anspruch darauf haben, nur noch 32 Stunden pro Woche erwerbstätig sein zu müssen. Der Staat solle die Lohndifferenz auffangen.
Sofort wurde sie von Angela Merkel abgekanzlert, das sei nur ihre private Meinung. Aber hier liegt Frau Merkel offenbar falsch. Denn 67% der Familien finden es nahezu ideal, wenn beide Eltern berufstätig sind, so Prof. Horst Opaschowski in einer Studie der Stiftung für Zukunftsfragen. Und 81% meinen, die Erziehung sei Elternsache, wenn auch 55% ein stärkeres staatliches Engagement durch Betreuungsplätze befürworten und sie deshalb einen Teil der Bildung ihrer Kinder schon früh in professionelle Hände legen müssten.
Teilzeitmänner diskriminiert?
Sind es also nur konservative politische Interessen, die einer familienfreundlicheren Arbeitswelt entgegenstehen? Ganz wichtig scheint das Ansehen zu sein, das mit einem Vollzeitarbeitsplatz einhergeht. Und das ganz besonders für Männer. So betonte Susanne Seyda vom arbeitgebernahen Institut für Wirtschaft in Köln bei der Vorstellung einer Studie des Roman-Herzog-Instituts, dass es zwar inzwischen gesellschaftlich akzeptiert sei, dass Frauen Karriere machten. Als Mann Teilzeit zu arbeiten oder länger als zwei Monate in Elternzeit zu gehen, werde dagegen „noch nicht so sehr akzeptiert“.
Die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung fand weiter Gründe für das hohe Maß an Vollzeitarbeit von Vätern. In einer Analyse von Daten aus dem Jahr 2010 wurde festgestellt, dass insbesondere hochqualifizierte Männer durch eine Abweichung vom Normalarbeitsverhältnis prozentual höhere Einkommensverluste erlitten als Frauen. Teilzeitmänner seine daher unzufriedener.
Reduzierte Vollzeit gewüscht
Dabei ist der Wunsch nach weniger Zeitaufwand für die Erwerbsarbeit immens. An einer Befragung der IG Metall zum Thema Arbeitszeit beteiligte sich seit 2013 eine halbe Million Menschen! 86% der Doppelverdiener mit Kind fanden es gut, die Arbeitszeit zugunsten der Kinderbetreuung oder der Pflege von Angehörigen reduzieren zu können, bei den Alleinverdienern waren es noch 82%. Die meisten befürworten eine „reduzierte Vollzeit“ von ca. 30 Wochenstunden.
„Für unsere Kollegen wird das Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf immer wichtiger“, fasste Jörg Hofmann, stellvertretender Vorsitzender der Metallgewerkschaft, das Ergebnis zusammen. Ihm ist es wichtig, dass eine reduzierte Arbeitszeit dennoch als Vollzeitarbeitsplatz gelte. Eine Rückkehr zur Vollzeit werde sonst schwieriger, befürchtet er. Zum Lohnausgleich äußert sich die IG Metall bislang nicht.
Arbeitszeitmodelle nach Arbeitgeberwunsch
Politisch müsste das durchzusetzen sein, schließlich steht im Koalitionsvertrag ein Passus, der gesetzlich ein Rückkehrrecht von Teilzeit- auf Vollzeitbeschäftigung vorsieht. Selbst Frau Merkel scheint inzwischen gesprächsbereit, beschlossen doch gerade die Regierungsparteien, in einer Initiative zur Lebensqualität in Deutschland auch dieses Thema zu vertiefen.
Und was meinen die Arbeitgeber? Sie geben sich solchen Vorschlägen gegenüber aufgeschlossen. Eric Schweitzer, Vorsitzender des Deutschen Industrie- und Handelskammertags, meint, man müsse wegkommen von Modellen, bei denen der eine Partner Vollzeit arbeite und der andere nur wenige Stunden. Eine Reduzierung der Arbeitszeit des einen auf 35 Stunden und eine Aufstockung des anderen auf die gleiche Zeit findet er gut. Denn in der Summe kommt so immer noch mehr Arbeitszeit für die Arbeitgeber heraus.
Arbeitszeit muss nach Wünschen der Familie gestaltet werden
Also mehr Ausbeutung durch gerechtere Verteilung der Arbeit? Dem muss ein Riegel vorgeschoben werden! Denn für die Familie bedeutet es immer noch, dass sie für einen ganzen Tag die Kinder durch andere Menschen betreuen lassen müssen, dass die Eltern erst abends und nicht gerade entspannt nach Hause kommen, dass sie entsprechend gereizt und fordernd auf die Kinder reagieren und immer noch zu wenig Zeit haben für gemeinsame Unternehmungen. Am Fazit, das die World-Vision-Studie zur Lebensqualität von Kindern in der Familie gezogen hat, würde das nichts ändern.
Eine Änderung der Arbeitszeitmodelle muss den Bedürfnissen der Kinder nach mehr Zeit mit den Eltern, insbesondere den Vätern, gerecht werden. Dazu braucht es neben der Möglichkeit zu einer allgemeinen Arbeitszeitreduzierung auch einen speziellen Blick auf Väter. Werden sie als Teilzeitmann schief angesehen? Werden ihnen Karrierechancen verbaut, wie es das Institut für Wirtschaft und die Hans-Böckler-Stiftung befürchten? Eine solche Väterdiskriminierung muss verhindert werden! Dazu braucht es nicht nur Aufklärungskampagnen, ebenso nötig sind Modellprojekte mit entsprechender beratender und wissenschaftlicher Begleitung. Und selbstverständlich rechtliche Möglichkeiten, gegen eine solche Diskriminierung vorzugehen.