Abweisung von Klagen mutmaßlich leiblicher Väter zur Anfechtung der Vaterschaft nicht konventionswidrig

In seinen heute verkündeten Kammerurteilen in den Verfahren Ahrens gegen

Deutschland (Beschwerdenummer 45071/09) und Kautzor gegen Deutschland

(Beschwerdenummer 23338/09), die noch nicht rechtskräftig sind1, stellte der

Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) einstimmig fest, dass keine

Verletzung von Artikel 8 (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens)

und keine Verletzung von Artikel 8 in Verbindung mit Artikel 14

(Diskriminierungsverbot) der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK)

vorlag.

 

Beide Fälle betrafen die Entscheidungen der deutschen Gerichte, Klagen zur Anfechtung

der Vaterschaft abzuweisen, die die Beschwerdeführer erhoben hatten. Einer der

Beschwerdeführer ist leiblicher Vater einer Tochter, der andere mutmaßlich leiblicher

Vater einer Tochter; rechtlicher Vater ist jeweils ein anderer Mann, der mit der

Kindesmutter zusammen lebt.

Zusammenfassung des Sachverhalts

Der Beschwerdeführer im ersten Verfahren, Denis Ahrens, geboren 1970, lebt in Berlin. Der Beschwerdeführer im zweiten Verfahren, Heiko Kautzor, geboren 1971, lebt in Willich. Beide sind deutsche Staatsangehörige.

Herr Ahrens ging davon aus, Vater einer im August 2005 geborenen Tochter zu sein, mit deren Mutter, Frau P., er eine Beziehung gehabt hatte. Zur Zeit der Empfängnis lebte Frau P. mit einem anderen Mann, Herrn M., zusammen, der die Vaterschaft für das Kind anerkannte. Das Paar hat das gemeinsame Sorgerecht und kümmert sich gemeinsam um das Kind. Im Oktober 2005 erhob Herr Ahrens Klage wegen Anfechtung der Vaterschaft von Herrn M. und gab eine eidesstattliche Versicherung ab, er habe während der Empfängniszeit intime Kontakte mit Frau P. gehabt. Herr M. machte geltend, er übernehme die volle elterliche Verantwortung für das Kind, selbst wenn er nicht der leibliche Vater sei.

Nach Anhörung aller Parteien stellte das Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg mit Urteil vom April 2007 fest, dass Herr Ahrens leiblicher Vater des Kindes sei. Das Gericht berücksichtigte ein Sachverständigengutachten sowie das Ergebnis eines Bluttests, der Herrn Ahrens' biologische Vaterschaft nachwies, und kam zu der Auffassung, dass er nicht an der Anfechtung der Vaterschaft von Herrn M. gehindert sei. Im August 2007 hob das Kammergericht Berlin das Urteil des Amtsgerichts auf und befand, dass Herr Ahrens kein Recht habe, die Vaterschaft anzufechten, da zwischen Herrn M. und dem Kind eine sozial-familiäre Bindung bestehe, die andauere, obwohl erwiesen sei, dass Herr M. nicht der leibliche Vater sei. Im Mai 2009 lehnte es das Bundesverfassungsgericht ab, die Verfassungsbeschwerde Herrn Ahrens’ zur Entscheidung anzunehmen.

Herr Kautzor ging davon aus, Vater der im März 2005 geborenen Tochter seiner ehemaligen Ehefrau, Frau D., zu sein. Frau D. lebt mit einem neuen Partner, Herrn E., zusammen, der die Vaterschaft für das Kind im Mai 2006 anerkannte. Später bekam das Paar zwei weitere Kinder und heiratete. Herr Kautzor teilte seiner ehemaligen Ehefrau mit, dass er Umgang mit dem Kind wünsche und beabsichtige, die Vaterschaft anzuerkennen. Im Juli 2006 reichte er beim Amtsgericht Bielefeld Klage auf Feststellung seiner Vaterschaft ein und erweiterte die Klage im Folgenden um einen Antrag auf Anfechtung der Vaterschaft von Herrn E.

Nach Anhörung der Parteien einschließlich des für das Kind bestellten Verfahrenspflegers wies das Amtsgericht die Anträge Herrn Kautzors mit Urteil vom Juni 2008 zurück. Das Gericht befand, dass er von der Vaterschaftsanfechtung ausgeschlossen sei, weil eine sozial-familiäre Beziehung zwischen dem Kind und seinem rechtlichen Vater Herrn E. bestehe. Da das Kind einen rechtlichen Vater habe, habe Herr Kautzor auch kein Recht auf Feststellung seiner Vaterschaft durch einen Gentest. Das Oberlandesgericht wies seine Berufung im Dezember 2008 zurück. Auf eine Anhörungsrüge Herrn Kautzors bestätigte das Oberlandesgericht, dass er nach den maßgeblichen Bestimmungen des BGB in der Auslegung des Bundesverfassungsgerichts auch nicht berechtigt sei, eine Abstammungsuntersuchung einzufordern, ohne dass seine rechtliche Vaterschaft festgestellt würde. Im Juni 2009 lehnte es das Bundesverfassungsgericht ab, die Verfassungsbeschwerde Herrn Kautzors zur Entscheidung anzunehmen.