Fast ein Jahr lang stand - am Beispiel des norddeutschen Braunschweig - die Frage nach der „Qualität in kindschaftsrechtlichen Verfahren“ im Blickpunkt. Die Verbände schauten auf Arbeitsweise, Beachtung von Fristen und geltenden Gesetzen, Qualität und Gründlichkeit, aber auch auf Objektivität des Systems und wie mit betroffenen Eltern und Kindern umgegangen wird. "Die hier im Erhebungsbericht für den Braun-schweiger Raum dargestellten tragischen Beispiele erinnern mich an viele Fälle, die uns auch in Bayern begegnen. Leider ist in ganz Deutschland von sehr fragwürdigen bis hin zu eindeutig destruktiven Arbeits-weisen an Familiengerichten und in den Jugendämtern heutzutage noch alles vorfindbar", bestätigt Mar-kus Zabron vom Väternetzwerk in Nürnberg. Auch Aybike Soybaba von der Bundesinitiative Großeltern kennt diese Fälle aus anderen Familiengerichten und Jugendämtern: „Das sind keine bedauerlichen Ein-zelfälle. Auch die hohe Zahl an Kontaktabbrüchen betroffener Kinder zu Ihren Eltern und Großeltern sind keine Seltenheit.“. Auch Vorstandsmitglied Christoph Köpernick vom Väteraufbruch für Kinder bestätigt: „Schleppende Verfahren, Missachtung elterlicher Loyalitätspflichten und das Ausbleiben professioneller Intervention bei trennungsinduzierten Kontaktabbrüchen sind nur die Spitze der professionellen Fehlleis-tungen. Zwar wird immer vom Kindeswohl fabuliert, zugleich werden Kinder und auch deren Mütter und Väter in vielseitigsten Varianten fehlerhaft sich selbst überlassen oder es wird zu oft unzureichend, nicht selten eher streitverschärfend oder im Kontext sogar völlig falsch eingegriffen.“
Die Fälle sind einzigartig, die Fehler des Systems wiederholen sich stattdessen in den Fällen
Wenn in den Medien über fehlerhafte Verfahren berichtet wird, ist von Gerichten oder Jugendämtern oft reflexartig die Rede von „bedauerlichen Einzelfällen“. Das bestreiten die Macher der Erhebung. Die Ergeb-nisse würden zwar bestätigen , dass die Fälle individuell seien. Doch seien es unterschiedliche, sich zu-gleich ständig wiederholende Fehler in Gerichten und Jugendamt, die zwar mit „Kindeswohl“ etikettiert seien, zugleich jedoch sehr oft eher einer eigenen Agenda folgen oder auf fehlende Qualität hinweisen.
„Die erschreckend hohe Zahl therapiebedürftiger Kinder oder auch die hohen Kontakt-Abbruchquoten sind dramatisch. Unabhängig von diesen „Ergebnissen“ erleben Kinder von streitenden Trennungseltern oft jahrelangen Dauerstress. Die Vielfalt der Problemstellungen erfordert schnelleres Handeln und mehr Zusammenarbeit von Jugendämtern, Familiengerichten und Beratungsstellen, orientiert am Kindeswohl und den gesetzlichen Vorgaben“, sagt die Erziehungswissenschaftlerin Dr. Charlotte Michel-Biegel vom Verband für Getrennterziehen „Papa Mama Auch“ und ergänzt: „Gute Eltern versuchen auch nach Tren-nung, den Weg über Anwälte und Familiengerichte zu vermeiden.“
Ihr Verbandskollege Ulf Hofes fasst die dringendsten Forderungen zusammen: „Straffere Verfahrensfüh-rungen in jeder Lage der Verfahren, Anordnung elterlicher Wohlverhaltens- und Einigungspflichten, druckvolleres Hinwirken auf elterliches Einvernehmen, entschlossenere Intervention bei Kontaktabbrü-chen, gewissenhaftere Ermittlung entscheidungserheblicher Tatsachen, Sichtbarmachung destruktiven Elternverhaltens, klarere Ausformulierung vollstreckbarer Inhalte in Beschlüssen, intensivere Ermittlungen bei Gewalt- oder Missbrauchsvorwürfen in Kombination mit Sanktionierung von Falschbeschuldigungen, die ebenso ernst genommen werden müssen.“ Einen besonderen Handlungsbedarf sieht Hofes bei der Berücksichtigung der Europäischen Menschenrechtskonvention, der UN Kinderrechtskonvention und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte: „In den analysierten Fällen aus Braunschweig zeigte sich eine erhebliche Ignoranz internationaler völkerrechtlicher Verpflichtungen und der Berücksichtigung von Urteilen des EGMR. Offenbar hat man auch aus Skandalen wie dem Fall Görgülü bis heute nichts gelernt oder nicht lernen wollen.“ In allen Forderungen mahnen die Verbände die Not-wendigkeit von Gesetzesverschärfungen im Zuge der anstehenden Kindschaftsrechtsreformen an. Zwar stünde vieles heute schon in den Gesetzen. „Aber offenbar nicht klar und deutlich genug“, betont Hofes.