Ja zur gemeinsamen Sorge.

Seit Pfingsten 2013 haben wir eine neue gesetzliche Grundlage für die gemeinsame elterliche Sorge. Der Gesetzgeber spricht vollmundig und hoffnungsvoll von einem „neuen Leitbild“, die Praxis hat aber oft nur alten Wein in neuen Schläuchen geliefert.

Immer wieder haben die Gerichte, Jugendämter, Verfahrensbeistände und natürlich auch die Mütter angegeben, dass es an der notwendigen Kooperation und Kommunikation der Eltern fehle, um die gemeinsame Sorge realisieren zu können. Die gemeinsame Sorge sei daher mit dem Wohl des Kindes unvereinbar. Es könne dahinstehen, welcher Elternteil dafür verantwortlich sei. Künftiger Konfliktstoff sei jedenfalls vorprogrammiert und würde dem Kindeswohl schaden. Damit war der Traum von der gemeinsamen elterlichen Sorge dann häufig ausgeträumt. Gefördert wurde diese Freiheit zu einer gewissen Willkür natürlich auch durch das Fehlen klarer Entscheidungen der Obergerichte.

Das hat das Brandenburgische Oberlandesgericht nun durch einen lobenswert klaren Beschluss geändert (vom 03.08.2015: 13 UF 50/15).

Nicht die Übertragung der gemeinsamen Sorge bedarf eines besonderen Grundes, sondern nur die ablehnende Entscheidung, so das OLG. Diesen eigentlich bekannten Grundsatz hat das OLG nochmals als fundamental besonders herausgestellt. Die bisherige alte Ansicht, es gäbe weder eine verfassungsrechtliche, gesetzliche noch tatsächlich begründete Vermutung für den Vorrang der gemeinsamen Sorge gegenüber der Alleinsorge, könne nun nicht mehr vertreten werden. Eben genau dies habe der Gesetzgeber neu regeln wollen. Im Gesetzgebungsverfahren habe sich die Entscheidung, ein Leitbild gemeinsamer Sorge als Regelungsziel zu benennen, durchgesetzt. Dies ergäbe sich aus dem Gesetzestext und den in den Bundestagsdrucksachen veröffentlichten Debattenbeiträgen einzelner Abgeordneter. Gerade die sogenannte negative Kindeswohlprüfung („dem Kindeswohl nicht widerspricht“) statt der damals geltenden positiven Kindeswohlprüfung („dem Kindeswohl (besser) entspricht“) sei Gegenstand der Erörterungen mit dem bekannten Ergebnis gewesen.

Was das bedeutet, hat das OLG selbst formuliert: „Der staatliche Schutzauftrag dient allein der Abwehr schwerwiegender Beeinträchtigungen des Kindeswohls (§ 1666 BGB), nicht der Durchsetzung bestmöglicher Sorgezuordnungen oder tatsächlicher Obhutsverhältnisse gegen oder ohne den Willen der Eltern“. Es geht also nicht mehr darum, was eventuell besser und was eventuell schlechter ist, vielmehr ist die gemeinsame Sorge nunmehr immer die bessere Lösung, wenn keine schwerwiegenden Beeinträchtigungen drohen.

Die gerichtliche Anordnung der gemeinsamen elterlichen Sorge könnte bei einem Elternstreit demnach nur dann verweigert werden, wenn sich dieser Elternstreit derart schädlich auf das Kindeswohl auswirkt, dass das Kind schwerwiegende Beeinträchtigungen erleiden und weiter festgestellt würde, dass allein durch das Vermeiden der gemeinsamen Sorge Abhilfe zu erwarten ist.

Das setzt nach der Ansicht des OLG eine Prognose voraus. Es reicht demnach nicht, dass es unüberbrückbare Meinungsverschiedenheiten der Eltern gibt. Es muss vielmehr zu erwarten sein, „dass die Eltern die Gerichtsentscheidung als eventuell unliebsam, aber doch als verbindlich hinnehmen und deshalb ihren Streit nicht fortsetzen, sondern als unabänderlich entschieden betrachten.“ Diese günstige Prognose müsse gestellt werden können, wenn vom gesetzlichen Leitbild gemeinsamer Sorge abgewichen werden soll.

Gerät das Kind in einen Loyalitätskonflikt und in Überbeanspruchungen, weil es glaubt Partei ergreifen zu sollen, so habe dies nichts mit der Sorgerechtsbefugnis zu tun, sondern mit dem davon unabhängig bestehenden Elternstreit als solchem. Dem Kind könne nicht durch die Sorgerechtsentscheidung geholfen werden, sondern nur durch seine Eltern selbst, wenn schon nicht durch höflichen oder netten, so doch wenigstens durch einen anständige Umgang miteinander, so das OLG ausdrücklich. Diesen Umgang schulden die Eltern nicht sich gegenseitig, sondern gemeinsam ihrem Kind.

Mit der ständigen unterschwelligen oder offen zur Schau gestellten gegenseitigen Geringachtung und mit dem Absprechen jeden guten Willens bei dem anderen verletzen die Eltern nicht in erster Linie sich gegenseitig, sondern jeder von ihnen verletzt das Recht des Kindes, das beanspruchen kann, dass beide Eltern seinem Wohlergehen größere Aufmerksamkeit widmen als dem Streit miteinander (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG, §§ 1626, 1627, 1631 BGB) .

Dass es auch in Zukunft immer wieder Auseinandersetzungen zwischen den Eltern geben kann, rechtfertigt eine Ablehnung gemeinsamer Sorge nicht. Die Alleinsorge dient nicht dem Ziel, die Schwierigkeiten des gemeinsamen Entscheidens zu vermeiden. Sie soll die Eltern nicht von der Last befreien, eigene Ansichten vom jeweils anderen in Frage stellen zu lassen und die eingenommene Position zu überprüfen und zu ändern.

Das Wohl des Kindes ist das bestimmende Tatbestandsmerkmal des § 1626 a II BGB, nicht die Befindlichkeiten der Eltern.

Das sind alles sehr stichhaltige Begründungen, die unser Lob ebenso verdienen, wie der deutliche Appell des Gerichts an Eltern, die eigenen Differenzen im Sinne des Kindes wenigstens zu kultivieren.

Für das Sorgerechtsverfahren eines jeden Einzelnen kann diese Entscheidung hilfreich sein, wenn sie klug und zum richtigen Zeitpunkt zitiert wird. Ein Erfolgsautomatismus liegt darin sicherlich nicht. Das liegt auch an der vom OLG sehr formal und juristisch aufgebauten Begründung, die von manchen Amtsgerichten nicht übernommen werden wird, obwohl sie sehr stichhaltig ist. Dort wird man also noch einige Überzeugungsarbeit leisten müssen. Der Beschluss ist also ein sehr wichtiger Schritt, aber doch nur ein Schritt, dem noch viele folgen müssen.

Das OLG hat in diesem Fall die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof ausdrücklich zugelassen. Es bleibt insoweit paradoxerweise zu hoffen, dass die Mutter des jetzt 6-jährigen Kindes die Rechtsbeschwerde auch einlegen wird. Dann muss sich der BGH mit der hier in Rede stehenden Auslegung der neuen Gesetzeslage beschäftigen, was er regelmäßig auf sehr gründliche Weise zu erledigen pflegt. Ginge der Fall also zum BGH, dann bekämen wir eine sehr klare und besser verwendbare Entscheidung, was sehr wünschenswert wäre.

Die Gesetzesänderung ist sicher wesentlich durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte im Fall Zaunegger und der folgenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ausgelöst worden. Die Entscheidung des OLG geht aber über die dortigen Pflichtvorgaben hinaus, sie präzisiert die Hürden zur Versagung der gemeinsamen elterlichen Sorge höher, als es vom EGMR oder BVerfG gefordert wurde. Auch deswegen wäre eine Bestätigung vom BGH sehr wünschenswert.